WTSSEIüSC}TAFTLICHtr iÀITtrRPRETATIOI{ U NÐ ALI-TAGSVER.STÄNDN I S ]f E}iSCHLI CHÐN H,{NÐELNSi
I. EINLEITUNG:
ERFAHRUNGS]NHALT UND GE DÅN KLicHE çPG;' xsr-iixoe'
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Dte Konstrt'thtiot'ten d' e
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øIltägl'ichen* wnd
chaf tli.ch en' Ð enken s
,,\Ãreder das Alliagsverständnis* noch die Wissenschaft können sich ent{alten, sofern sie nicht die strenge Einschränkung der Betrachtung auf das in der Erlahrung tatsächlich Gegebene aufgeben." Ðieser Satz A. Ìd. \Vhiteheads biidet die Grundlage seiner Analyse der Organisation des Denkens.l Selbst das irn alltagiichen Leben wahrgenornmene Ðing ist mehr ais eine einfache Sinnesvorstellung.z.Es ist ein gedanklicher Gegenstand, eine Konsiruktion höchst koneplizierter ì{atur; sie schließt nicht nur bésondere Formen zeitlicher Abfolgen ein, in denen sich der Gegenstand als der einer einzigen Sinnesart, sagen ¡n'ir des Sehens,3 konstituiert, und räumliche Beziehungen, in denen er sich als Sinnesgegenstand mehrerer Sinnesarten konstituiert,
f ,,Common-Sense and Scientific InterPretatiol of tr{uman Actiol," ín: Philosoþhy ønd Phenomenological Research, 14, 1953, S. r-37. (R.G.) * Die Übe¡setze¡ haben Umschreibuagen w.ie ,,-tlltagsverstándnis", ,,alltãglicti",
,,Aìllagsverstand" bzw. Zusammensetzungen rvie.,,alltägliche Erfahrung".,,alìtägliche \4¡ahrnehmung" usrv. gewãhlt, um bei de¡ Übersetzung des Begriffs ,,Common Sense" die alÌzu oft polemischeo Àquivokationen des,,gesunden Menschenverstands" zu vermeiden. Fúr Schùtz ist ,,Comnorr Sense" der Ðriahrunçstil lebensrveltlichen Verstehens
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im alltäglichen
Umgang zrvíschen Mitmenschen- Vgl- S' 6S-7r
ia diesem Band. (R.G.) Fußnoten mtt Ztitern stammen von Scbùtz. Fùßnoten mit Stern stammeq vom Herausgeber der englischen Ausgabe, lfaurice Nâtanson (1f.\.) oder von den Übersetzer¡. (B-L.; R.G.) und sind stets mii den Initialen gekennzeichnet' 1 Alfred ì{ortb Whiiehead, The Organization oJ Thought, London r9r7; zum Teii abgedruckt in: The A'ims ol Êd.ucati'on, New York ag29, ietzt auch als Mentor Book, ì'ieu'York r949. Diese Ausgabe wi¡d hi¿r zitiert: siehe S. rro' 2 aaO, Kap. g:,,The ol Sone Scientiiic ld'eas, I Fact, II Objects" 3 aaO, S. rzSf und S. '4nøtomy r3r
ZUR METI{ODOl-O GiE DER SOZI,{Ll,VIS SENSCH,{FTEN
WISSE\SCHAFTI-IIìÌ.iÐ INTERPRETATIOìI
zum Beispiei des Sehens und des Tastens:1 um die Konstruktion des gedanklichen Gegenstandes abzuschliessen, bedarf es auch
eines Beitrags der Imagination hypothetischer Sinnesvorstel_
lungen.z Nach \4/hitehead ist ., g"råa" dieses zuietzi g.""""; Moment, nämlich die Imagination hypothetischer Sinnår,orstel_ lungen, ,,die der Fels ist, auf dem aei g^n Gedankenbal,
indem er von der ,,AnaTomie *,issenschaftlicher Ideen', ausgeht und mit den mathematisch gefaßter: Theorien dei mode¡nen Physik und den Verfahrensregeln der s;",mbolischen Logik endet.l Von gröl3tem lnteresse ist jedoch die Grundeinstellung, die Whitehead mit vielen anderen hen'orragenden Denkern unseîer
líche¡ Frfahrung errichtet ist,,,: uù " ist "titag die Absicht dã¡ ". reflektiven Kritik,,,unsere Sinnesvorstellung als
tatsächliche Realisierung des hypothetischen gedanklicher, -G"g"rr.r".rdes von Wahrnehmungen zu konstruieren.,,4 Mit anderen l1,.orten: die sogenannten konkreten Tatsachen der alltäglichen wahrneh_ mung sind gar nicht so konkret wie es scheint. Sie umfassen be_ ¡eits Abstraktionen höchst komplizierter Natur, dle i.vir beachten müssen, um nicht dem Fehlschluß der unangebra-chten Kon_ krerheit zu verfallen.õ
liach \\&itehead hat die Wissenschaft imrner ein zri,eifaches Ziel: erstens die Fertigung einer Theorie, die mit a", nrf"f.rorrg übereìnstimmt, und zr,veitens åie zumindest umrißhafte
Erklá_ rung der alltäglichen Begriffe von der Natur; diese E¡klärung be_ steht in der Erhaltung dieser Begriffe in einer u,issenschaftrichen Theorie einstimmigen Denkenslo Zu diesem zweck rnuß die Physik {die a,lein in diesem Zusammenhrrrg .,rorr Wú*.ä;;_
roeint ist) Verfah¡en entwickeln,
in
denen díe gedanklichen
Gegenstände der alltäglichen Erfahrung von denen der Wissen_
schaft ersetzt werden.? Die letzte¡en,""urn Beispiei Moleküle, Atcme und Eiektronen, haben dabei alle
eualitâten verloren, die in der Form von Sinnesvo¡stellungen uimittelbar in unserem Bewußtsein faßbar wären. Sie sindlns nur durch die Ðreignis_
¡eihen bekannt, d,e sie implizit enthaJten, Ereignisse allerdîÇ, die in unserem Bewußtsein in Sinne..ror.t"Urrrrger, ,epråis"rrtiä we¡den. Mit diesem Ver{ah¡en wird eine Brùcke vom unscha¡fen F1u8 de¡ Sinne zur exakten Definition des Denkerrs geschlagen.s
r aaO, S. r3r " aau,5. r33
und S. r16
3 aa0, S. r34 a aaO, S. r35 5 ^Alf¡ed North Whiteheað.,_science and, the Mod.ern aucb êls,:\{entor Book,.Nerv york r9ag, S. ;;i'"*'"
; ì:Ïti:'"t' **v) v. rJJ I aaO, S.
116
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\4''ir beabsichtígen hier nícht, die meisterhafte Methode rvhi¡eheads Schritt fü¡ Schritt zu er benutzt das oben kurz 'erfoÌgen: skízziefte Prinzip in seiner Änalyse der organisation des Denkens,
Zeit telIt, so mit William James,2 Dervev,3 Bergsona und llusDiese Einstellung kann man, rvenn auch sehr grob, r'vie lolgt
ser1.5
zgÆammenfassen:
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-\\¡elt, sei es im rvissênschaftlìchen oder im ailtäglichen Ðenken, -g¡tha.lt_$9¡gtruLktionen- das heißt einen Verband von Abstraktioneq, Generalisierungen, 1ìormalisierungen und ldeaiisierungen, die der jeweilþn Stufe gedanklicher Organisation gemäß sind. G_en4=ir-g-q4qry!ae4 gibt es liilgçgd_s_Sq_etwa:_)yl9 g9_i1lç g_!Ç eþlache Jatsachen. AlIe Tatsachen sind immer schon aus einem universellen Zusammenhang durch unsere Bewußtseinsabiãufe ausgerváhlte Tatsachen. Somit sind sie immer interpretierte TatgacþSn: entrveder sind sie in künstiicher Äbstraktion aus ihrem Zusammenhang gelöst oder aber sie werden nur in ihrem partikulären Zusammenhang gesehen. Daher tragen in beiden Fãllen die Tatsachen ihren interpretativen inneren und äußeren Horizont mit sich. Für das ailtágIiche Leben rvie für die \\¡issenschaft heißt dies nicht, daß wir die Wirklichkeit der Welt nicht begreifen können. Es folgt nur, daß wir jeweils bloß bestimmte ihrer Aspekte erfassen, sofern sie
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aaO, S.
Í\z-rz3
und S. 136-155
2 William James, The Princiþles oi Psychology, Nes'Yo¡k 1893, Bd. r, Kap. 5: ,,Tb.e Siream ol Thoughi", S. zz4f und bes. S. 289f. 3 John Dewey, Logic, the Theory oi I nquiry, New York r 9 38, bes. Kap - 3-+,7-B und rz', vgl. auch den Aufsatz ,,The Object'ítism-Subjectiúsn ol Modern Ph,ilosoþhy" (r94r) in dem Sammeìband Problens oi Men,New York 1946, S. 3:6fa Henri Bergson, Malière et L,Iémoire, Paris r896. Kap. r: .,La Sélection des Images par la Représentation". 5 Siehe z.B. Edmund HusseiÌ, Logische UntersuchtLngett, +. Aufl., Halle rgz8, Bd. 2,. Teil z: Dle ideale Einheit der Species und die neuen åbstraktionstheorien; vgl. die vorzugliche DarsteÌlung in: Marvin Farber, The Foundat'ion ol Plrcnomenology, Cambridge 1943, Kap.9, bes. S. z5rí-Siebeferne¡ Ðdmund Husserl, Ideen zu einet r¿inen Phã,nomenoLog,ie, Den l{aag r95o, {im lolgenden kurz ld,een) r. Abschnitt; ebenso Edmund Husserl, Fornale z¿nd, lranszsødentale Logik, Halle r929, (kwz Logìh) Par. 8z-86,94-96; vgl. hierzu Farber, aaO, S. 5orff. Siehe auch Edmund Hosserl, Erlahrung und, UtteiL, Prag r939, Par. 6-ro, 16-24, 4r-43.
6
ZUR JVfETHODOLOGIE DEIì SOZIALi\¡ISSENSCHÄFTEN
wISSENSCHAFTLICIIE I}¡TERPRETATIoN
entweder fùr die Bervältigung des Ålltags oder vom Standpunkt der akzeptierten Verfahrensregeln des Ðenkens, die wir li/issen_ schaftsmethodik nennen, ¡eievant sind. e
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kalth,cher Konslruh,t ionen
Wenn dieser Auffassung gemäß alle rvissenschaftlichen Konstruktionen so entrvorfen sein sollen, daß sie die Gedankenkonstruktionen des alltägiichen Denkens ersetzen, dann wird ein prinzipieller Unterschied zr,vischen den \ïatu¡- und den Sozialrvissenschaften offenbar. Den liaturwissenschaftlern bleibt es vo¡behalten zu entscheiden, ¡ryelche¡ Sektor der gesamten -\*atur, rvelche ih¡e¡ Tatsachen und
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Tatsachen und Ereignisse thematisch und interpretativ fùr ihr spezifi,sches Interesse relevant sind. Diese Tatsachen und Ereignisse sind ím vo¡aus weder ausgesondert noch gedeutet; sie zeigen
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npþ!:ryqgnggi. sie ist dãs Ergebnis der
seLektiven und interpretativen Tätigkeit des Mensche.,
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mit oder bei der Beobachtung der ì{atur. Die Tatsachen,
Ðaten und Ereignisse, rnit denen der Naturlvissenschaftler urn-
gehen muß, sind lediglich Tatsachen, Daten und Ereignisse jnner_
halb seines Beobachtungsfeldes; jedoch ,,bed.eutet,, dieses Feld den darin befindlichen Moieküren, Atomen und Erektronen gar
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nichts.
Dem Soziaiwissenschaftier riegen aber Tatsachen, Ereignisse und Daten einer vöiiig verschiedenen Struktur vor. Sein Beobachtungsfeld, die sozialr,veit, ist nicht ihrem wesen nach unge_ gliedert.lie hat eine besondere Sinn- und Relevanzstruktur für
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In
verschiedenen Konstruktionen der aJrtägrichen wi¡klichkeit haben sie diese Welt im voraus gegliedert lrld ir,t"rp."tiert, und
es sind gedanktiche Gegenstãnde ciieser Art, die ihr v-erhalten be_ stimmen, ihre Handiungsziele d.efinieren und die Mittel :,lrtr Realisierung solcher Ziele kurz: sie verhelfen den 'orschreiben Ilenschen in ihrer natùriichen und soziokuitureten l'mlvelt ihr -A.uskqln_qen zu_find.en und mit ihr Íns Reine zu kommen" I)ie ge dant
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7
genstände, die im Ve¡ständnis des im .{lltag unter seìnen }lítmenschen ìebencien Menschen gebildet werden. Die Konstruk-
4ef!ezt.tl1Þ!9y!rf!l€I_ Þgry{rt, .i'r¿ àãn"r rorlro_q9tf-qhtiS4e!_Z geLt s 4. _G.g4çg . el gçn ilK o" s tt"Iilio nen sa, $ -jin jener Konstruktioner, dig j-rn Soliq]feid yon è_"¡ g_qa+-"Þ^+çg S", bilciet werden, deren Verhalten der Wissenschaftler beobàðhiei otrà i" Übereinstimmung mit den Verfahrensregelnl seiner \\¡issenschaft zu erklären versucht.. Die modernen SoziallvissenSóhaften stehen vor einem ernsthaften Dilemma. Eine ,,Schuie" meint, es gäbe einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Strukturen der Sozialwelt und denen der Natur. Ðiese Einsicht frihrt jedoch zu dem irrigen Schluß, daß die Sozialwissenschaften von den Naturwissenschaften totøl verschieden sind, wobei die Tatsache übe¡sehen wird, daß bestimmte Verfahrensregetrn korrekter gedankücher Organisation al1en empirischen Wissenschaften gemeinsam sind. Ðie andere ,,Schule" versucht, das Verhalten des Menschen in derseiben Weise zu sehen, in der der Naturwissenschaftler das ,,\'-erhalten" seiner gedanklichen Gegenstände faßt: für sie ist es selbstverständlich, daß die Methoden der Naturwissenschaften (vor allem der rnathematischen Physik), die zu solch außerordentiichen Erfoigeri fùhrten, die einzig rvissenschaftlichen Methoden sind. Andererseits nirnmt diese Richtung es als seibstverständl.ich hin, daß allein die Übernahme naturu'issenschaftlicher Methoden der Konstruktionsbildung zu veriässlichem Wissen von sozialer Wi¡klichkeit fùhren wird. Diese beiden Annahmen sind jedoch miteinander unvereinbar. Zam Beispiel würde sich eín ideal verfeinertes und voll entwickeltes behavioristisches System sehr lveit von den Konstruktionen entfernen, in denen der Meilsch in der WirkLichkeit des alltäglichen Lebens sein eigenes Verhaften und das seiner Mitrnenschen erfahrt*,zDie ÜL'errvindung dieser Schwierigkeit verlangfbesondere methodologische Verfahren, unter anderem Konstruktionen rationaler ffandlungsmuster. Um die spezifische Art der gedanklichen Gegenstánde der Soziaiwissenschaften lveiterhin auf4Sqqn, 4iç
1 Zum BegriÍi der \.'eriahrensregeln (procedural ruìes) Methodotogy ol ihe Sociat Sci'ences,
Neç'Yo¡k
1944, bes.
vgl. Felix Kaufmatln,
Kap'3-+; siehe Kap io
zu
den ve¡schiedeael -{uífassuagen ùbe: das Verhältris zrvischen den Natur- und den Sozialwissenschaften. (Vor der Ðmigration publizierte lehr e der
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R. G.
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Felix Kaufman\,
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ZUR METI{OÐQLOGIE DER SOZIALWISSENSCHåFTE\I
zukTàren, rnùssen rvir einige Konstruktionen charakterisieren, die im Alltag ve¡wand.t werden. Auf diesen sind die wissen_
schaftlichen Konstruktionen aufgebaut.
II. DIE KOI.ISTRUKTTONEN GEDANKIICHER CSC¡TsTÀ¡iDE I}f ALLTÀGLICHEN DENKEì{
r)
Døs Alltøgsw,issen des Einzelnen aon rier W ell ist ein System aon K onstrukti on en ihr er iy þ,i s chen A s þ e h,t e
Wir wollen zuerst die Àrt und lVeise beschreiben, in der wir als hell-rvache,l erwachsene Menschen die intersubjektive welt des Âlltags sehen, in der und auf die wir als Ùlensch unter unseren
Mítmenschet *itk" . Sie wu¡de von ande¡en, unseren Vorgängern, als eine g"ordrr"t" w-elt erfahren und gedeutet. ìíun bietet sie sich unserer Erfahrung und Deutung an. Jede Interpretation dieser Welt grùndet sich auf einem vorrat eigener od.er uns von Eitern od.er iehrern ve¡mittelter frùherer Welterfahrungen, die in der \,Veise unseres ,,verfügbaren Wissens" ein Bezugsschema bild en. Zu diesem verfügbaren Wissensvorr at zàhlt unser Wissen, daß
die Welt, in der lvir leben, eine Welt von mehr oder rveniger genau umrissenen Gegenständen mit mehr oder rveniger definiti_ ven Qua-iitäten ist, eine Welt von Gegenstãnden, zwischen denen rvir uns belvegen, die uns widerstehen und auf die wir einrvi¡ken können. Keiner dieser Gegenstände wird jedoch isoriert wahrgenomnôen. Der Gegenstand ist von vornherein eingebetret "i., einen ë-ø?lt i=V_irl&i¡theit und des eekanntseiis, ¿er - sã wle er lst - brs auf rveiteres als fraglos verfügbarer WGñõorrat hingenommen wird, d,"¡. ltr"r,E"S,,j gd", kann. Ðie otr"trg"r*@n sind jedoch ebenfalls vom Ansatz her als tyþisch.e Erfahr-ungen verfugbar, das heißt, sie tragen offene Ho¡izonte zu erwa¡tender ähniicher Erfahrungen mit sich. - Zam Beispiel erfahre ich die Außenwelt nicht als eine Anordnung diskretei einmaliger Gegenstände, die in Raum undZeit verteiit sind, sond.ern als",,Berg"e ,,,8ä;;";, Be-deut^ung dieses Begriffs vgl. über die .mannagfaltigen lv.hklichlt: -A.lf¡ed Schùtz, Gesanrnelte AujsøÍze, datd I,5.244;im ""),--t-":,präzisen iotgenOãn turz àl i-
R¿Lten,
!YISSÐNSCHAFTLICI{E IN'f ERPRETATIO\
,,-liere", ,,] itmenschen". Angenommen, ich hatte bisher nie
einen Irischen Setter gesehen. Begegnet mir aber einer, so lveiß ich, daß es ein Tier und insbesondere ein liund ist" der all die vertrauten Zùge und das typische Verhalten eines ilundes zeigi, und nicht - sagen wir - das einer I(atze. Ich mag vernünftigerrveise fragen: ,,\\¡as ist das fur ein i{und?" Díese Frage setzt voraus, daß die trinähnlichl<eit dieses besonderen Hundes mit allen anderen mi¡ bekannten Hundearten hervorsteht und fragri'úrdig rvird, und. z'¡,ar allein tn bezug auf die Àhnlichkeit, die ihn mit meinen fraglosen Erfahrungen von typischen Hunden verbindet. - ln der Terminclogie Husserls, dessen Á.naiyse der Typik der alltägEchen \l¡elt ri'ir zusammenzufassen versuchten: 1
Was
in der tatsächlichen \\'-ahrnehmung
eines Gegensta"ndes
erfahren rvird, erfährt eine aoperzeptive Übertragung auf jeden anderen ähniichen Gegenstand, der dann nur als Typ wahrgenommen rvird. Meine Errvartung dieser typischen Konformitát mit anderen Gegenständen rvird in tatsächlicher Erfahrung bestätigt oder nicht. \\¡ird sie bestätigt, so e¡weitert sich der Inhalt des antizipierten Tvps, de¡ dann gleichzeitig in l-Intertypen aufgespalten wird; der konkrete, wirkliche Gegenstand rvird andererseits seine individueLlen Charakteristika ausrveisen, die nichtsdesto,,veniger eine formale Typik haben. Nun kann ich zwar, und dies ist ein entscheidender Punkt, den typisch apperzeptierten Gegenstand als ein Exetnþløø des allgemeinen Typs nehmen und so zum Begriff des Typs führen lassen, aber ich mup keineswegs irn obigen Beispiel an den konkreten Hund als ein Exemplar des allgemeinen Begriffs ,,Hund" denken.
,,Im alÌgemeinen" zeigt mein Irischer Setter Rover alle Charakteristika, die der Typ ,,Hund" nach all meinen fruheren Erfahrungen impiiziert. Was jedoch gerade er mit anderen Hunden gemein hat, ist für mich belanglos. Ich erblicke in ihm meinen Freund und Begleiter Rover, der als solcher unter allen anderen Irischen Sette¡n ausgezeichnet ist, mit denen er bestimmte typische Ðigenarten der Ðrscheínung und des Verhaltens teilt. Ohne besonderen AnIaß rverde ich Rover nicht ais Sãugetier, als Lebervesen, a1s Gegenstand der Außenrvelt betrachten, obgleich ich weiß, daß er ali dies auch ist. 1 Husserl, Erfahrung, aaO, Par.
r8-2r und 8u-85, Vgl. auch ,,Sprache, Gl I, S. 3rg-325-
pathologie und Bewußtseinsstrukturiefung", irr: Schùtz,
Sprach-
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ZLIRMETHODOLOGIEDERSOZIÀLWISSENSCH.{FTEN
In der natùrlichen Ðinstellung
des Ailtags beschâftigen uns nur bestimmte Gegenstânde, die vor dem Hintergrund des frag_ losen Feldes anderer vorerfahrener Gegenstände hervorstehei. Ðiese selektive Tätigkeit unseres Bewußtseins führt dann zu de¡ Bestimmung, welche besonderen Charakteristika eines solchen Gegenstandes individueil und rvelche t¡rpisch sind. Etwas allgerneiner gesagt: Wir befassen uns nur mit einigen Aspekten dieies besonderen, typisierten Gegenstandes. Von diesem Gegenstand S
anzunehrnen, er habe die charakteristische Eigenschaft p in der Fo¡m ,,S ist p", wâre eine elliptische Aussage. Denn S - so wie es rnir in aller Selbstverständlichkeit erscheint - ist nicht nur p, sondern auch q und r und vielerlei mehr. Der vollständige Satz mr¡ßte heißen: ,,S ist, neben anderen Dingen wie q und r, auch p." Behaupte ich bezügiich eines Elementes dieser als selbstver_ ständlich hingenommenen Welt, daß S gieich p ist, so heißt es,
daß ich unter den vorliegenden I-imstánden am p_Sein von S interessiert bin und das q- und r-Sein ars nicht rerevant unberücksichtigt lasse.l Ðie hier benutzten Begriffe ,,fnteresse', und ,,Relevanz,, sind jedoch bioße Titel für erne Reihe komprizierter probleme, die im Rahmen dieser Untersuchung nicht ausgearbeitet werden kön_ nen.* Wir mùssen uns auf einige wenige Bemerkungen be_
WISSENSCHAFTLICHE II{TERPRETTTTION
í7
hat: Ðiese besteht aus der Ablaeeruns ¿lls¡ rrcrErfahrungen des ìie@aren -_, gangenen wissensvorrat in aer Fotm tiabilreil€rE;ignungen orga-nisiert -;-indjhm-aflèñ-iêt sie ais solche gegeben ais sein einziganiger Besiiz.+ Ðiese biographisch bestimmte Situation erschließt geGeschichte .
rr,'isse }Iöglichkeiten
künftiger praktischer oder theoretischer Tátigkeit, die hier kurz ,,verftigbare Ziele" genannt s'erden. Das verfügbare Ziei definiert jene Elemente aus der ì'fannigfaltigkeit einer Situation, die fur dieses Ztelrelevant sind. Dieses Releyanzsystem bestimrat seinerseits, welche F-lemente zum Substrat generalisierender Typisierungen gemacht werden müssen, q'elche Merkmale dieser Ðlemente atrs kennzeichnend typisch und welche
als einzigartig ìndividuell ausgewählt werden müssen' Anders gesagt, das Relevanzsystem bestim:nt, ¡vie lveit wir in den offenen }lorizont der Typik eindringen mùssen. Kehren wir zum obigen Beispiei zurùck: Ein Wechsel meines verfügbaren Zieìes und des damit verbundenen Relevanzsystems, also ein WechseÌ des ,.Zusarnmenhanges," in dem S mir inte¡essant erscheint, kann mich dazu fiihren, daß ich mich nunmehr mit dem q-Sein von S befasse, rvährend es irrelevant geworden ist, daß S zudem noch p ist.
schränken.
In jedem Zeitpunkt seines täglichen Lebens findet sich der Mensch in einer biographisch bestimmten Situation, das heißt, in einer von ihm definierten natüriichen und. sozio_kulturellen Um_ welt,z in der er eine ausgezeichnete Stellung hat: eine Stellung nicht nu¡ im Rahmen des physischen Raumes und d.er kosmischei
zeít, nicht nur bezügrich Status und Rorle innerhalb des sozialen Systems, sond.ern auch eine moralische und id.eologische Fosition.3 l]nse¡e Aussage, diese Ðefinition d.er Situation sei biographisch bestimmt, soÌl nichts weiter heißen, als daß sie ihre |. ,V,S1. a* Literaturangaben in Fußnote auf S. 9. Schutz,,,Some Structures of the Lif'e_Worl¿,,, in: Alfred .lected]!1.4. Schütz, Col_ PaÞers, Bd. IIl, Den Ha ag 1962, S. rr6fí. (R.G.) BegrifÍ der ,,Definitì;n de; Situatìoi,i ._-" _Zu! W. I. Thomas, die jetzt in d.em Band \,Vitliam l. "gí. ai" bet¡effenden A¡beiten von in.ãå., Soc,iøl Behatiu and, pey_ sonãlity, Contributions oÍ W. I. Thoznas to Theory Reseøtch, Hrsg. Edmund H. Volkart, New York rosr, vorliegen. Vgl- auch ""iiì¿¿ die vorzUgliche Einfùhrung von \¡olka¡r. (Deutsche üb"riËtrrrg von O. Kinminich: \V. I. Thomas, petson und. Soziaherhalten,Neurvied r9O5
R.G.)
; 3 Vgl. Maurice trferleau-ponty, phêaanténologie
de Ie perceþt¿otu
paris r945, S. r5g.
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erinter subi
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økter des Alltagsw'iss ens
Die ersten Konstruktionen des alitäglichen Denkens haben wir bisher so untersucht, als wäre diese WeIt meine private Welt und als dür{ten wir die Ta"tsache außer Acht lassen, daß sie von Anfang an eine intersubjektive Kulturwelt ist. Sie ist intersubjektiv, da wir in ihr als Mensch unter Menschen leben, an welche rvir durch gemeinsames Ðinwirken und Arbeiten gebunden sind, welche wir verstehen und von ¡¡¡elchen wir verstanden werden. Es ist eine Kulturrvelt, da die Welt des täglicheri Lebens von aüem Anfang an für uns ein Universum von Bedeutungen ist, also ein Sinnzusammenhang, den wir interpretieren mùssen, um uns in ihm zurechtzufinden und mit ihm ins Reine zu kommen. Dieser Sinnzusammenhang entspringt jedoch - und darin unterscheidet sich der kultureile Bereich von dem de¡ Natur - menschlichem Handein: unserem Handeln und dem Handeln unserer *
!-g1. ,,Das Wãtìlen zwíschea Handlungsentrvùrfen", Gá
I,
S. 87-88 (M N.).
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ZURMÐTHODOI-OGIEDERSOZI,{LWISSENSCH¿,FTEìi
lVISSENSCHA.FTLI CHE TNTERPRETATION
],{itmenschen, unserer Zeitgenossen und i¡orgàngei-. Alle kultu_ Gegenstände Werkzeuge, S5rmbole, épr".t ry.r"¡¡", .Urrp;qg __
rellen
j lveisen i" Kunstu,erke , soziale f nstitutioner, ;;; "tc. Bedeiltung auf die Tätigkeiten menschlicher Individuen zurück. Àus diesem Grund sind -wir uns imme¡ der uns in ?raditionen und Bräuchen begegnenden Geschichtlichkeit der Kuìtu¡ bewußt.
ÐjgsS-
Gesqhich4ich5eit ist Éie Sedimentatior,
TätiC_
"qgsc¡lgþgl keiten *d etschlffiung erst in bezug auf diese Tatigkeìten. Aus demsetrben Grund. kann ich einen kulturel_
1en Gegenstand
nicht verstehen, ohne ihn auf die ihn hervor_ bringende menschliche Tätigkeit zobeziehen. Zum Beispiei verstehe ich ein \,Verkzeug nicht, ohne den Z,,veck seines Eìtwurfs zu kennen; ein zeichen oder ein Symbol bleiben unverstandiJ, falls ich nicht weiß, was die es benutzende person dr*it ;;;;;
eine Institution bteibt mir unverstândlich, solange i.h ;i.h; weiß, was sie frìr die Individuen bed.eutet, die in ihi und ,i" hin ihr Verhalten orientieren. Ðas sogenannte postulat ",rt der sub_
se,¡en trrsprung. Es wird ,rns spãterioðñ-EìõEãTIÇõ-lzunächst werden wir jedoch die weiteren Konstrukiionen untersuchen, die im Alltagsdenken auftauchen, sobald wir be_ achten, daß diese Welt nicht meine private Welt isf, sondern e_ine inte¡subjektive Welt, das heißt, àaß mein Wissen von der 1¡7elt nicht privat, sondern von vornherein intersubjektiv oder vergesellschaftlicht ist. Fùr unseren Zweck genugt es, drei -A'spekte dieses Problems der Soziaiisierung d.es wisse ns kurz ztt behandeln:
a) die Reziprozitàt der perspektiven oder die strukturelle Sozialisierung des Wissens ; b) der soziale U-rsprung d.es Wissens oder die genetische
c)
sierung des Wissens; die soziale Verteitrung des Wissens.
ø) Ðie Reziþroz,itrit d.er persþeh,tiuen trn der natürlichen Einstellung des täglichen
ich
es a-ls seibstverständlich
hin, ãaß
es fraglos, als selbstverstänolich hin.
la
Ich lveiß aber auch und
nehme es als seibstverständlich an, daß genau genommen d.ieser
,,selbe" Gegenstand ftìr rflich etrvas anderes bedeuten muß ais fùr jeden beliebigen meiner Mitmenschen. Ðies grùndet sich i) darau{, daß ich ,,hier" in and.erer Ðistanz zu den Gegenstânden stehe als er, der ,,dort" ist, und auch andere Aspekte der Gegenstände als typisch erfahre. Aus dem gleichen Grund, liegen bestimmte Gegenstánde außerhalb meiner Reichlveite (des Sehens, I{örens, I{andhabens etc.), jedoch innerhalb der seinigen und umgekehrt. ii) zumindest bis zu einem gervissen Grad auf die notwendige Diff erenz zu'ischen rneiner biographisch bestimmten Situation und der meiner Mitmenschen und damit auf den Unterschied unserer je vorliegenden Absichtel und den in ihnen jeweils grùndenden Relevanzsystemen.
Das Alltagsdenken ùberr,vind.et die Differenzen individueller Perspektiven, die aus jenen beiden Punkten folgen, durch zu'ei grundlegende Idealisierungen :
1) Dir-Jfupl!:tyyfSJgJ:l!.qy,,
i"h-*
ey Sta.ndovte.'Würde
so daß
sein ,,Hier" zu meinem wird, so ist es mír selbstverständlich, daß ich dann in derselben Ðistanz zu den Dingen stehe und sie in denselben typischen Aspekten sehe, wie er es tatsächlich tut; des r,r'eiteren wùrden dieselben Dinge in meíne Reich-
u'eite kommen, die ihm tatsächLich erreichbar sind. Ich nehme an, daß fùr ihn die entsprechenden Annahmen ebenfalls selbstverständlich sind. 1l) Di,e I dzalisiqøns Cey,!{: olLyu?!4ig4eleu øfLytterye ; Se}a4ge keine Widersprüche auftreten, ist es mir (und, r.vie ich
Soziali_
annehme, auch meinem Mitrnenschen) selbstverständlich, da8 die Verschiedenheit der Perspektiven, die in unseren je ein-
Lebens nehme
zigartigen biographischen Situationen ihren lJrsprung hat, für die momentanen Absichten eines jeden von uns ir¡elevant ist. So hat er und so habe ich, so haben ,,wir" angenornmen, daß u'ir beide alle tatsächiich oder potentiell gemeinsamen Gegenstände und ihre Eigenheiten ùbe¡einstimmend ausgesucht und interpretiert haben, oder daß dies zumindest in einer ,,empirisch übereinstimmenden" und a-iso fùr die Praxis
irri"üig"rrte Mitmenschen gibt. trch irnpiiziere damit prinzipleU, ", aan ãie Gegenstände dieser Wett dem Wissen -eirrei Miåerrs;;r, )ìgar,gri.h sind, aiso entwede¡ bekannt oder e¡kennbar sind. Dies weiIj ich und nehme
hinreichenden \tr¡eise geschehen ist.
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zurì METHODOLOGIE DER.SOZTALwTssENSCHAFTEN
I/VISSENSCHAFTI-ICHE
Ðie beiden ldealisierungen, die der Vertauschbarkeit der Standorte und die der I(ongru eûz d.er Relevanzsvsteme konsti_ tureren zusammen die Generølthese der reziþroÌ¿en pers6ehf.í. Bei beiden handelt es sich@ dankricherGegenstanJf meiner privaten Erfahrung und der meines Mitmens]chen über_ lagern. Infolge dieser Konstruktionen des Alltagsdenkens wird angenommen, daß der von mi¡ als selbstverständlich hingenom_
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rnene Sektor der
welt auch meinen einzelnenMitmenschen selbst-
verständlich ist. Aber díeses ,,Wir" schließt nicht nur dich und, mich ein, sondern ,,jedermann," der ,,einer von uns,, ist. das heißt, dessen Reierrãiñffiffi".et ifiõË-îffIñäðh""j deinern und rneinem úbe¡einstimmt. Die Generalthese der ¡eziproken Perspektiven führt also dazu, daß Gegenständ.e mitsamt ihren Aspekten, die mir tatsächlich und dir potentieil bekannt sind, als Gegenstände im Bereich des wissens von jedermann erf aß t we¡de" &9s gs$:l çl ¡-l-l-gÞi *tl" g3 4 -r'ro'y*, das h eißt, es ist abgelöst und gig von meineiundññer Mitmen_ ""a¡hatwiffi. schen Definition der Situation, von unseren einzigartigen biographischen Vorgegebenheiten und unseren wirklichen oia *oglichen Zielen, die uns mit unseren jeweitigen Biographien vei_
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fügbar sind. w*ir müssen die Begriffe ,,Gegenstand,, und ,,Aspekte der Gegenstânde" im i,veitestmöglichen Sinn interpretieren: sie be_ zeict¡nen als selbstverstãndrich hingenommen Gegenstände des Wissens. So werden wir die Tragweite der Konstruktionen inter_ subjektiver gedanklicher Gegenstände entdecken, die aus der gerade beschriebenen struktureten Soziarisierung des wissens hervorgehen: sie be¡rihren zahlreiche probleme, ãi" .,ron bedeu_ tenden Sozialwissenschaftlern untersucht, aber oft ,;;;_ fâltig analysiert wurden. Was an Wissen voaþþgge{r¡r "i;t.r*"r,3,
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:utanneTs, Customs, Mores, and l.f
INTERPRETATIOì{
15
tens" im Sinne À,Iax Webers,r der ,,AÞe! natürlich-ist-das-so"-
Aussagen, die tr otz ihr"t Inko*i.t*o@;1t gültig angenomrnen werden,2 kurz, dei ,,reiativ natúrlichen Welt-
anschauung.": Alle diese Begriffe "rffi typisierten Wissens zuruck, die eine hochsozialisierte Struktur aufweisen und die jene gedanklichen Gegenstände, in denen mein und meines Mitmenschen privates Wissen um eiæjlagÞ hþge. nommene Welt gefaßt ist, ùberlagern. Ðieses Wissen hat jedoch -it .., ¡ Teil ttsere@," *seine Geschichte; es ist Ð.i.u" { ¡".* iDies bringt uns zum zweiten Aspekt des Problems der Sozialisie{ rung des Wissens: zu ihrer genetischen Strukturç
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b) Ðer
soziøle (Jrsþrung d,es Wissens
Nur ein sehr kleiner Teil meines Wissens von der Welt gründet in meiner persönlichen Erfahrung. Ðer größere TeiI ist soziai abgeieitet, von meinen Freunden, Eltern, Lehrern und Lehrern meiner Lehrer auf mich ubertragqn. Ich werde nicht nur darin unterrichtet, wie meine Umwelt zu definieren ist (wobei Umwelt die typischen Aspekte der relativ-natùrlichen Weltanschauung umfaßt, die in der Eigengruppe als frag1gle, aber immer fragwürdige Gesamtheit der bis auf weiteres als selbstverständlich hingenornmenen Ðinge gelten) ; man lehrt mich auch, typische Konstruktionen in Übereinstimmung mit dem Relevanzsystem zu formen, das von dem anonymen, gemeinsamen Standpunkt der Eigengruppe übernommen wird. Diese Konstruktionen umfassen die Lebensweise, umfassen Methoden, in_der Umwelt .zurechtzukommen, also brauchbare Anleitungen zur Benutzung
in typischg]_T!gg!S"91 __typit"h"r Mitt"i, ulq ty er¡eichen zu können. Das typisierende Medium þar excellence .i"d W*tt.t*t, .-d Syntax der Aìltagssprache, in der soziai
1 Max lVeber, Wirtschalt und. Geseltrschøft, Túbingen 1956, S. z4ff ; vgl. auch Talcott Parsons, The Structure ol Social .4'clion, Nelv York rgg7, Kap. 16 (Anmerkung: Schùtz zitiert Max Weber il den Collecled, Paþers imt|€ nach der englischen l-ibersetzung von A. M. Henderson und T. Parsons: Max Weber, The Thet)ry of Social and Econowic Organization, New York 1947. Diese Zitate sind von den Überselzern auf den deutschen Text von W'irtschalt und GesellschaJt zurúckúbertragen worden; R'G.) 2 Robe¡t S. Lynd, Middletoøn'iø Tramsìtòon, ì'lew York tg37' KaP- lz; uld R. S' Lynð, Knoøtedge ior What? Princeton r939, S. 38-63. 3 Max Scheler, Die Wissenslornen und díe Gesellschaft, Probleme einer sotiologie des Wissens,t-etpzig tgz6, S. 58ff. Vgì- Horva¡d Becker und Helmut Dahlke ,,Max Scheler's Sociology of Knowledge", in: Philosophy and Phenomenological Research, 2, tg+2, S. 3to-322, bes. S. 3r5.
16
zURME.THOÐOLOGTEDERSOZIALWISSET{SCH¿.FTEN
abgeleitetes $/issen vermittelt i,r'ird. Die timgangssprache des Alltags ist vor allem eine Sprache benannter Dinge und Ereignisse: jeder l{ame umfaßt eine Tvpisierung und Generarisierun},
die auf ein in der sprachlichen Eigengruppe vorherrschendes Relevanzsystem verlveist, eine Gruppe, fùr d_ie das benannte Ðing wichtig genug war, es mit einem besonderen Wort zu be_ legen. Die vorwissenschaftiiche Umgangssprache kann als eine Schatzkammer vorgefertigter verfügbarer Typen und Eigenschaften verstanden werden, die sozial abgeleitet sind und. einen offenen Horizont unaufgeklärter Inhalte mit sich tragen.l
c)
Ðt,e sozial,e Verteilu.ng des Wissens
\4¡issen ist sozial verteilt. Die Generalthese der reziproken Perspektiven überwindet zwar die Schwierigkeit, daß mein tatsächliches Wissen nur das potentielie Wissen meiner Mitmen_ schen ist und umgekehrt. Aber der tøtstichlich vefiügbare \l¡issensvorrat ist von einern Individuum zum anderen verschieden, und das Alltagsdenken berücksichtigt diese Tatsache. Nicht nur øøs ein einzerner weiß, unterscheid.et sich vom wissen seines Nachbarn, sondern a".c]^, aia beide die ,,gleichen,' Tatsachen kennen. Jedes w*issen hat vieifältige Grade der Kiarheit, I]nterscheidbarkeit, Genauigkeit und vertrautheit. Nimmt man zum Beispiei William James' 2 bekannte l]nterscheidung von,,Wissen
im E*a+!tsei!t"- (knlutgdge oÍ
øcquaintancà
:nd ,ñã-
wovon" (kno@fu2øøp@_so weiß ¿rã off"nsicfrflicfr-"il"rt"i Dinge nur in der dumpfen Weise bioßen Bekanntseins, während
. du welßt, was sie zu dem macht, das sie sínd, und umgekehrt. Ich bin ein ,,Experte" in einem kieinen Bereich und ein-,,Laie,, in vielen anderen, und das gleiche gilt von dir.3 Der verfügbare
wissensvorrat jedes einzelnen ist zu jedem Zeiçunkt iines l-qLe". i1't Zo"." yçlscþie en Grades der Ktarheit, Unter_ scheidbarkeit @iert. Ðiese Struktur geht aus dem volherrschend,en Relevanzsystem hervor und ist damit biographisch bestimmt. Das Wissen um diese indi_ viduelle \4;issensverteilung ist selbst wieder ein Erement der t,I"gt.
"
,,Sprache, Sprachpathologie u¿d. tsewußtseinsstrukturierung',,
ìn GA I,
PrinciþIes aj psychology,aaO, Bd_ r,S- zztl. |s ]ames, vgl' ,,The well-Informed- citizen, an n.."yo" lrr" sociar Distribution of KnowIedge", in: .{. Schùtz, Col.Iecüed. paþers, eà. n, D'"";l-"' 1964, S. rzo_r34.
\vISSENSCHAFTLICHÐ INTERPRETATIO}í
f7
ailtágiichen Erfahrung: Ich weiß, r,r'en ich unteï rveichen typischen Umständen als ,,kompetenten" Arzt ode¡ Rechtsanwalt aufsuchen muß. Anders gesagt, ich konstruie¡e im Äl]tag Typen des Bekanntheitsfeldes des AnderenundTypen der \Feite und Zusammensetzung seines Wissens. Daher setze ich voraus, daß der Ändere von bestimrnten Relevanzstrukturen geleitet wird, die sich in einer Änzah1 fester :\,{otive ausdrücken und zu einem bestimmten Handlungsmuster frihren, ja selbst seine Persönlichkeit mitbestimmen. Aber díese Feststeliung setzt bereits die Anal}'5s der Konstruktionen des Alltagsdenkens voraus, die sich auf das Ye¡stehen unserer Mitmenschen beziehen. Sie rverden uns zunächst beschäftigen.1
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Die Str'wh,tur
d,ey Sozialwelt und ihre T,uþ'isiertnr,g í'n I{ onstruktøonett d,es Alltøgsdenkens
Ich erfahre diese Welt als menschiiches Wesen: hineingeboren Sozialwelt und in ihr mein tägliches Leben verbringend, baut sie sich rund um mich auf, meiner Deutung und meinem Handeln zugänglich, aber stets in bezug auf meine tatsächliche, biographisch bestimmte Situation. Eine bestimmte Art meiner Beziehungen zu anderen Mitmenschen erhält nur in der Verweisung auf mich den besonderen Sinn, den ich mit dem Wort ,,wir" bezeichne; nur in bezug auf ,,uns," in deren Mittelpunkt ich stehe, sind andere als ,,ihr" hervorgehoben, und in bezug auf ,,euch," die ihr auf mich zurückweist, sind andere Dritte als :'¡]',? ,,sie" abgehoben" In der zeitlichen Dimension gibt es ,,Zeitge- -)-'-:, nossen" in direktem Bez.ug auf mich in meiner tatsächlichen
in die
1 ìfit der Ausnahme einiger Nationalökonomen (zum Beispiel F. A. Hayek, ,,Economics and Knowledge", in: Ecanonica Febr- t937, jetzt nachgedruckt in seinem Buch Ind,iaid.ualisø and Econarnic Od,er, Clicago 1948) hat das Problen der sozialen Wissensve¡teilung nicht die Aufmerksamkeit unter Sozialwissenschaitle¡n gefunden, die es verdient. Es öfJnet ein gaoz neues Feld theoretiscber und empirischer Forschung, das erst eigentlich den Namen einer Soziologie des Wissens verdient, ein Titel, der heute eine¡ schlecht definierten Disziplin vorbehalten rvird, die die soziale Wissensverteilung fû¡ selbstve¡stãndlich hinaimmt, auf der sie grùndet. \{an kãtr erwarteD, daß die systematische Untersuchung dieses Feldes wichtige Beitîâge zw Lõsung zahlreicher P¡obleme der Soziaiwissenschaften bringen wird, wie zum Beispiel fir die Theo¡ie der sozialen Rolle, der sozialen Schichtung, des institutionellen Verha.ltens, für die Be¡ufssoziologie, firr die Probleme von sozialem Status und PrestÍge usrv. (Vgl, m neüeren A¡beiten zu diesem Thema insbes. Peter L. Berger und Thonas Luckmann, Die Gesellschaltliche Konstuuhtim der Wirklãchkeit, S. Fischer, Frankfu¡t 1969; R.G.)
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ZUR METHODOLoGIE DER SOZIALWISSENSCH.A.FTEN
biographischen Situation, mit denen ein wechselseitiger Handlungsablauf konstituiert werden.kann; es gíbt ,,Vorgänger,,, auf die ich nicht einw-irken kann, deren früheres Handeln und. deren I{andlungsresultate jedoch meiner Deutung zugänglich sind und so mein eigenes Handeln beeinflussen können; und es gibt
,,Nachfolger", die nicht erfahrbar sind, auf die ich jedoch in mehr oder r.veniger leerer Envartung mein Handeln richten kann.
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diese Beziehungen zeigen die vielfältigsten Formen der
Intimität und A.nonymität, der Ve¡trautheit und Fremdheit, der Aufmerksamkeitsspannung und des Spielraums der Anpas-
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sungsperspektiven.l Xm gegenwärtigen Zusammenhang beschränken wir uns auf die zwischen Zeitgenossen bestehenden Beziehungen. Solange wìr
von der Alltagserfahrung sprechen, dùrfen wir die.Yoraussetzung hinnehrnen, daß der &Iensch seinen Mitmenschen und dessen trIandeln versteht und daß e¡ sich ande¡en mitteilen kann, da er annimmt, daß sie sein Handein verstehen. Des weiteren dùrfen ',vir die Voraussetzung hinnehmen, daß dieses gemeinsame Verstehen zwar bestimmte Grenzen hat, jedoch für viele praktische Zw ecke hinreichend ist. Mit einigen meiner Zeitgenossen teile ich - während der Dauer unserer Beziehungen - nicht nur eine Gemeinsamkeit d.er Zeit, sonde¡n auch des Raumes. Wir rverden diese Zeitsenossen der t"troi.rol9gi..h"tt Ei.rf""hh. r)*
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"griif soll in einem ande¡en Sinn-¡e-rsÎãñããn werden a-ls d.em von 2 Cooley und seinen Nachfoigern: wir meinen damit nur einen rein formalen Aspekt sozialer Beziehung, der sowohl auf das
intime Gespräch unter Freunden als auch auf das bloße Gegenúber_ sein von Fremden in einem Eisenbahnabteil anwendbar ist.
In räumlicher Gemeinschaft stehen soll heißen, daß ein be_ stimmter Sektor der äußeren Welt gleicherweise innerhalb der Reichweite eines jeden Partners liegt und Gegenstände gemein_ samen trnteresses und gemeinsamer Relevanz enthalt. Jeder 1 A. Schütz, Der sinnhalte-é,ufbau der sozialcn Welt, Wien r93z (2. AuTl. 196o). -Vgl. auch Alfred Stonier und Karl Bode, ,,A New Approách to thi MetlodoÌogy oi tn" Social Sciences," tn: Ecaaonica,5, Xov.-i937, S. +oàl+.+,bes. S.4r6ff. 2 Cha¡les H. Cooley, Sociat Organizaí¿á", Xè* Vori ,9o9, Kap. 3_5, vgl. auch . À. Schùtz, ,,The Homecom er" , it: ôollected. paper s, Fld,. z, S. r o6_r r9.
wISSÐ\TSCHÅFTLIcHE Iì{TEIìPRETATIoN
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pafiner kann den Kórper des anderen, seine Gesten, seinen Gang und seinen Gesichtsausdruck unmittelbar beobachten, aber nicht bloß als Dinge oder Ereignisse der äußeren \\¡elt, sondern in ihrer ph5;siognomischen Bedeutung, das heißt als Symptome fur d1e Gedanken des anderen. Eine nicht nur chronologische, äußere Zeit, sondetn auch die innere Zeit teilen soll heißen, daß jeder Partner am Lebensablauf des anderen teilhat und in lebendiger Gegenwart den schrittweisen -Àufbau der Gedanken des anderen bregreifen kann. Die Partner können so miteinander ihre Zukunftserrvartungen in Form ih¡er Pläne, íhrer Hoffnungen oder Sorgen teiien¡.'Ku¡z gesagt, Ui "it-e bezoeen in iÉre je eigenen Biographien: sie altern zu in eine¡ reinen Wir-Beziehung', þ@können,
;6 Der 4tr¿" Individuaiität einzígartige als oberflächlich sie auch sein rnag, erfaßt (obgleich nur ein Aspekt seiner Persönlichkeit erfaßt -,vird), und zwar in seiner einzigartigen biographischen Situation (obgleich sie nur fragmentarisch enthüllt wird). In allen anderen Formen sozial.er Bezíehungen kann das Seibst des anderen Menschen nur durch einen ,,Beitrag der Imagination hypothetischer Sinnvorstellungen" erfaßt we¡den (um an Whiteheads eingangs zitierten Satz zu eri.nnern). Dies gilt selbst für die Beziehungen unter Mitmenschen, sofern die verhùllten Aspekte des anderen Selbst betroffen sind. Ðiese Erfassung des Selbst außerhalb der Reichweite der Beobachtung geschieht in der Konstruktion eine¡ typischen Verhaltensrveise, eines typischen Musters zugrundeliegender I'Iotive, typischer Verhaltensweisen eines Persönlichkeitstyps, fùr die der A,ndere und sein gerade geprüftes Verhalten nur Sonderfälle oder Beispiele sind. Wir können hier 1 keine vollständige Taxonomie der Strukturen der Sozialwelt entwickeln, ebensowenig der verschiedenen Konstruktionsformen der Typen von Handlungsabläufen und Persönlichkeiten, in denen erst der Andere und sein Verhalten erfaßt werden können. Nur einige Beispiele: Denke ich an meinen abwesenden Freund -4, so bilde ich auf Grund meiner früheren Erfahrung von A ais meinem Mitmenschen einen Idealtyp seiner Persönlichkeit und seines Verhaltens. - Werfe ich einen Brief in den Postkasten, so er¡,1'arte ich, daß mir unbekannf-e Personen, Pqstr Vgl. Fußnote r aul
S. ¡8.
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ZURI{ETHODOLOGIE DER SOZIALWISSEì,ISCH¿.FTEN
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tvpischer, n-rir nicht völlig verständlicher \!'eise handeln r¡,erden, damit mein Brief in typisch bemessener Zeit den Adressaten erreicht. - Ohne je einen Franzosen oder einen Ðeutschen getrof fen zu haben, verstehe ich, ,_rvarum Frankreich die \\¡iederbervaffnung Ðeutschlands fürchtet." Wenn ich eine Regel der engiischen Grammatik befolge, so folge
ich einem
sozía1 akzeptierten Verhaltensmuster zeitgenössischer englisch sprechender lfitmenschen, nach dem ich mein eigenes
\¡erhalten richten muß, um mich verständlich zu machen. {Jnd schließlich verweisen jeder Gebrauchsgegenstand und jedes Gerät auf jenen anonymen Mitmenschen, der den Gegenstand produzierte, damit andere anonyme Mitmenschen ihn benutzen, um typische Zielemit typischen }litteln zu erreichen.* Diese wenigen Beispiele wurden dem Grad steigender Anonymitát nach angeordnei, die das Verhältnis de¡ betroffenen Zeitgenossen kennzeichnet: damit u'ird auch die .,vachsende Anonymität der Konstruktionen angedeutet, die notrvendig sind, um den -A.nderen und sein Verhalten zu erfassen. Es r.vird offenbar, daß eine Zunahme der Anonymität mit einer Abnahme der Inhaltsfülie einhergeht. Je anonvmer die typisierende Konstruktion ist, umso abgelösrer ist sie von der Einzigartigkeit des individ.uellen Mitmenschen, umso weniger Aspekte seiner persönlichkeit und seines Ve¡haltensmusters werden fúr das vorgegebene Ziel als relevant in die Typisierung aufgenommen, für das Ziel nämlich, für das dieser Tvp gerade konstruiert worden ist. TJnte¡scheiden wir zwischen (subjektiven) personalen Typen und (objektiven) Typen des Handlungsablaufs, so können wir sagen, daß zunehmende .A.nonymisierung der Konstruktionen zum Er_ satz der subjektiven durch die objektiven Typen fùhrt. Bei voll_ ständiger Anonymisierung werden die einzelnen als austauschbar angenommen und der Typ des Handlungsablaufs verweist auf
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Zusammenfassend können wír sagen, daß wir die individuelte Ðinzigartigkeit unseres Mitmenschen in seiner einzigartigen biogfapischen Situation nie erfassen können, es sei denn in der reinen lvir-Beziehung zrvischen Mitmenschen. In den Konstruktionen des
* Vgl. A. Schutz,,,The Probrem of Rationatity ín the sociar Papers, Fd. z, S. óa*9o. (M.fi.)
worid", in: colrected,
27
ailtãglichen Denkens erscheint der And¡:t'e be stenfalis als parrielles Selbst, und er tritt selbst in die reine Wir-lSeziehung nur mit einem Teil seiner Persönl-ichkeit ein. DieseErkennir:is scheint in verschieSie verhaif Simmeì,1 das Dilemma d.ener iíínsicht ..vichtig zu seinkoilel
tion des ,,Generaljsierten Anderen" (ge:t:'ralizetl otlter); sie ist schließlich entscheidend für die Klàrung der Begrrffe ,,soziale Funktion", ,,soziale Ro1le" und nicht z¡tlefzt des Begriffes
¡¡qrn ,,rationalen Handeln". * -Aber diese Erkenntnis faßt erst eine Seite unseres Probiems. Konstruiere ich den Anderen als nur partielles Selbsi, als Ðarstéiler typíscher Rollen oder Funktionen, so findet dies eine
Entsprechung im. Prozeß der Selbsttypisierung, der einsetzt, -tVirkensbeziehungen einsobald ich mit dem Anderen in soziale trete. Ich nehme an einer solchen Beziehung auch nicht als ganze Persönlichkeit, sondern nur mit bestimmten Persönlichkeitsschichten teil. Indem ich die Rolle des Anderen definie¡e, nehme ich selbst eine Rolle an. Inde¡n ich das Verhalten des Anderen typisiere, typisiere ich mejn eigenes Verhalten, das mit dem seinigen verbunden ist, und ich versetze mich selbst, sagen wir, in einen Reisenden oder einen \"e¡braucher, in einen Steuerzahler, einen Leser oder einen Beobachte¡. Diese Selbsttypísierung liegt William James'5 und George H. Meads6 Unterscheidung des 1 Georg Simmel, ,,Note on the Problem: Hog. is Society possible?" (ùbers. von Albion W- Small), in: The Arneticøn Journal oJ Sociology, r6, r9ro, S- 372-391; vgÌ' auch Kurt H. Wolff, The Sociology oJ Georg S'inmel, Glencoe, I11., r95o, unte¡ Cen
Stichworten,,Individuum" und,,Gruppe"2 Eine vorzùgliche Ðarstellung von Dukheins Position in Georges Gurvitch, La Vocat'ion Actuelle de Ia Socòologie, Parìs r95o, Kap. 6, S. 351-409; vgÌ' auch T. Parsons, The Struc¿ure ol Sotial Action, aàO, KâÞ. ro; fe¡ne¡ Emile Benoit-Smullyan, ,,The Sociotogism of Emile Durkheim and his Schooì", in: H. E Barnes, An Introd,uctionto the Hi,story ol Sociology, Chìgago tg+S, S' +gg-5ZZ; vgl. ebenfalls Robert K. Merton, Theuy and Social Sttucture, Glencoe, Ill', 1949, Kap- 4, S. 125-r50' 3 Cha¡lesH.Cooley, HuwanNatureø/.dtheSocialOrder,rev.Auíl', NewYorkrgzz, S. r84. { George H. Mead, Mind, Selí, and. Sacíety,Chicago 1934, S. r5z-r63. * Zu k¡itischen Klàung dieses Begriffs vgl. A. Schùtz, ,,The Problem of Rationalityin the SociaÌ lVorld", in Coll¿cted Paþers, Bd- z, S. 64-9o (M'N.) s W. James, Prõnciþles, aaO, Bd. r, Kap. ro 6 George H. l{ead, Mind, ea), S. t73-t75, 196-198, zo3; letter G. H. Mead,
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22 ZUR METHODoLoGIE DER SoZIALIvISSENSCHAFTEN
,,Ich" (1) vom,,I,Iir" (Me) in bezug auf
d.as soziale Selbst zu_
grunde.
Wir müssen jedoch im Blick behalten, daß die alltäglichen Konstruktionen in den Typisierungen des Anderen und in meiner Selbsttypisierung in einem beträchtlichen Ausmaß sozial abge_ leitet und sozial gebilligt sind. Innerhalb der Eigengruppe wird die Mehrzahi der personalen Typen und der Typen des Handlungsablaufs als selbstverständlich hingenommen in Form gesammelter Regein und An¡n'eisungen, die bisher jeder Frùfung genügt haben und von denen dies auch zukùnftig erwartet wird. (Ðie Hinnahme gilt natüriich stets nur solange, wie keine gegenteilige Evidenz vorliegt.) Darüber hinaus ist das Muster typischer Konstruktionen häufig ais Verhaitensstandard institutionalisiert, in t¡aditionellen und habituellen Sitten verbürgt und manchma-l durch besondere Verfahren der sogenannten sozialen Kontrolle, so in einer Rechtsordnung, garantiert.
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Høndlungsablaøfs und, þersonøIe Tyþen
Wir rnüssen nun kurz das Muster sozialen Handelns und Wi¡kens untersuchen, das im Ailtag der Konstruktion von Typen des Handlungsablaufs und von personalen Typen zugrunde liãgt. ø)
HÇtfl.etn, Entuurf, Moti,a
Der'"Begriff ,,Handeln" soll hier menschliches Verhalten bezeichnen, das vom Handelnden im voraus gepiant ist, also ein
auf einen vorgefaßten Entwr,rrf gegrùndetes Verhal.ten. Der Be_ griff ,,Handiung" soll das Ergebnis dieses ablaufenden Vorgangs bezeichnen, also das abgeschlossene Handeln. Handeln kann verdeckt sein, zurn Beispiet als intellektueller Versuch einer wissenschaftlichen Problemrösung, oder es ist offenbar in die Außenwelt gerichtet; Ilandeln kann als Durchführung oder als lJnterlassung auftreten, wobei eine bewußte Enthaltung vom
Handeln selbst als Handeln betrachtet wird. Jedes Entwerfen besteht im phantasierenden, vorstellenden Ðrwarten zukunftigen Verhaltens; es setzt jedoch nicht bei dem
,,The Genesis of ihe Self", in:'f he phitosoþhy oi the present, Cbicago rg3z, S. q6_tg5; vgì. vom selben Ä.utor, ,,\Vhat S_ocial Ot;ácts l.lust psychology ni".oppo.Ll,,ii, Jouraal oi Philosoþhy, ro, r9r3, S. :Z+_¡go.
WISSENSCHÅFTI-ICHE INTERPRETÂTION
ablaufenden Prozeß des Handelns an, sondern beginnt mit der als abgeschlossen phantasierten }landlung. lch muß mir erst den
Stand der Dinge verdeutlichen, die durch mein zukünftiges Handeln entstehen soÌlen, bevor ich die einzelnen Schritte planen kann, ín denen jenes Zie\ erreiclnt werden solt. Bildlich gesprochen, ich muß eine gervisse Vorstellung von dem zu errichtenden Bau haben, um die Bauzeichnungen entwerfen zu können. Daher muß ich mich in meiner Phantasie in eine zukünftige Zeit vercetzerr, zu der dieses Handeln bereits uirtl ausgefulntlword,en se'in. Nur dann kann ich in de¡ Phantasie die einzelnen Schritte rekonstruieren, die diese zukunftige Handlung hervorgebracht høben øerden. Ðer vorgeschlagenen Terminologie folgend sagen wir kurz: Im Entwurf r.vird nicht zukünftiges Handeln, sondern die erwartete zukùnftige Hand.lung entwo¡fen, wd zwar im zeitlichen Charakte¡ des modo luturi exøct'i. Diese fúr den Entwurf eigentümliche zeitliche Perspektive ftthrt zu einigen wichtigen Folgerungen i) Alle Entw-úrfe meiner koromenden Handlungen sind auf mein zur Zeit des Entwerfens verfúgbares Wissen gegründet. Zu diesem Wissen gehört meine Erfahrung von früher durchgeführten Handlungen, die der entv¡orfenen Handlung typisch âhnlich sind. Folglich impliziert jedes Entwerfen eine besondere ldealisierung, die von Husserl die Idealisierung des ,,Ich kann imrner wieder"l genannt ¡vurde: das'ist die Annahme, daß ich unter typisch áhnlichen Umständen in einer meinem fruheren Handeln typisch ähnlichen Weise handeln kann, um einen typisch Ìihnlichen Tatsachenstand herzustel.ien. Es ist kla¡, daß diese Ideaiisierung eine Konstruktion besonderer Art impliziert. Genau genommen muß mein verfügbares Wissenvor, von dem nach Ausführung der entworfenen Handlung verschieden sein, wenn auch nur aus dem einzigen Grund, daß ich ,,geaitert" bin und wenigstens die in der Ausführung des Entwurfs gemachten Erf ahrungen rneine biographische Situation verändert und meinen Wissensvorrat erweite¡t haben. Sp¡rlÉ-fyEù das,,,"¡gdgtbqlte" Handeln etwas andere-s-. sein
eþ*qrrg !þ& Rgpgqqgq. Ein erstes Handein A' begann in den Umständen C' und erbrachte die Situation S'; das
1 Husserl. Logih, aaA, Par. 7+, S- 167 und Husserì, Etiahrtcng, aaO, par- z4 und 5rb-
24
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zûR r{ETf{oDoLOGIE DER SOZTAL\\¡TssENSCHAFTE¡i
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und das ist,
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\,VISSE¡¡sCHÄFTLTcHE
r'viederholte i{andeln A,, beginnt im Zustand C,, und sol.l erv;artungsgemäß die Situation S,, herstellen. C,, und [, sind notwendig verschieden, da d.ie Erfahrur-rg, daß A, aAa_ quat war, um S' zu e¡reichen zu metnem \irtissensvor¡at , ge_ hö¡t, der ein Element von C', ist; dagegen gehörte das \r,'isån um die Ädãquatheit von A, zu meinem Wissensvorrat als Element volt C' nu¡ als eine jeere Errvartung. Entsprechend iverden S" von S' und A,, von A, verscirieden sein. Dies gründet darin, daß C', C", A' ,A.", S,, S,, als solche einzigartige unci unr,viederholbare Ereignisse sind. Aber fùr mein Atttags_ denken sind gerade jene Charakteristika, die sie im strengen Sinn einzigartig uncl unr,i'ieclerholbar machen, fü¡ mein ver_ fùgbares ZieI als irrelevant ausgeschied.en. Wenn ich die Idealisierung ,,Ich kann immer r.vieder,, vol.lziehe, so interes_ sieren mich nur die typischen Aspekte A, c und S orrne ane Indizes- tsildiich gesprochen besteht d,ie Konstruktion in der
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sierungen jeder Art. Dieser Punkt ivírd fur diel-{nalyse des Begrjffs des sogenann_ lqn ¡atjqr-rale+ r{andelns beso.,ae@ 1"" or¿ wir offensichttich Tof@,r o1e gerade besch'ebene Konstruktion in Form von Rezepten und Faustregeln an, die die probe bis dahin bestanden haberr,
oder wir verknüpfen häufig Mittel und Zrvecke ohne ein klares ,,lVissen voir" ihrer srirklichen Verbindung zu haben. Selbst im -alitagsdenken konstruieren li,ir eine wãIt von ver_ meíntlich miteinander verbund.enen Tatsachen, die aus_ schließlich Elemente enthalten, die rvir fùr unser vorgege_ benes Ziei relevant halten. ii) Die besondere zeitriche perspektive des Entwurfs wirft einiges Licht auf das ve¡häitnis zwischen Entrvurf und llotiv. Ir, ãe¡ Umgangssprache bezeichnet das Wort ,,Motiv,, z,¡,et ver_ schiedene Begriffsgruppen, die man unterscheid,en muß. ? Wit können sagen, daß es d,as Motiv eines lIörders wa¡, d.as Geld seines opfers zu bekommen. Ilier bezeichnet ,,rIotiv,, den Zustand, den Zweck, der durch dieses Ffandeln hervor_ gebracht ryerden soll. Wir we¡den diese Motivart ein ,,Um_zu_ Motiv" nennen. Vom Standpunkt des Handel"¿""'""r*Jrt
rì{TERpRETarroN
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diese Kiasse von ÙIotiven in die ZukunJt. Der in zukùnftigem Handeln zu erbringende Zustand - vorphantasiert im Entwurf - ist das {Jm-zu-Motiv fur den Volizug des Handelns. b) Wir können a.uch sagen, daß der Mörder zu seirrer Tat moti, viert rvorden ist, da er in dieser oder jener Lîmgebung aufwuchs, diese oder jene Erfahrungen in seiner Kindheit machte etc, Diese Klasse von Motiven, die wir (echte) 1 ,,\\¡eilMotíve" nennen, verrveisen vom Standpunkt des Handelnden auf seine vergangenen Er{ahrungen; sie bestimmen ihn, so zu handeln, ¡¡.ie er gehandelt hat. Was ein Handeln in der Form des ,,WeiI" motiviert, ist der Entwurf des Handelns selbst (zum Beispiel, einen Mann zu töten, um eine finanzielle Notlage zu beheben).
Wir können hier2 in keine sorgfâltigere Analyse der Motivtheorie eint¡eten. Aber es sollte bemerkt werden, daß der in seinern ablaufend.en HandlungsprozeS lebende Handelnde nu¡ das Um-zu-Motiv seines ablaufenden Handeins im Blick hat, also den entworfenen Zastand, der hergestellt werden soll. Das Weil-Motiv, welches den Handelnden bestimmt, genau das zu tun, was er getan hat oder rva-s er zu tun vorhatte, dieses WeilMotiv kann der Handelnde nur ruckwirkend erfassen, nur in der Rückwendung auf seine ausgefúhrte Handlung oder auf die ver-
gangenen Anfangsphasen eines noch ablaufenden llandelns, oder auf den bereits festgelegten Entrvurf, der die Handlung im mod,o fwtwri exacti vorwegnimmt. Aber dann handelt der Handelnde nicht mehr; er lvird zum Beobachter seiner seibst. Die Scheidung dieser beiden Motivarten gewinnt besondere Bedeutung für die Analyse menschlicher Wirkensbeziehungen, denen lvir uns
b)
jetzt zuwenden.
Soziøles W'irken
Jede Þ-orm sozialer Wirkensbeziehung 1
ist auf den bereits be-
In modernen Sprachen können Um-zu-lfotive formal auch durch Weil-
Sølze ausgedrùckt rverden. Echte Weil-Motive köanen dagegen nicht in Um-zuSdls¿¿ io¡muliert ¡verden. Diese¡ Unterschied der beiden l{öglichkeiten des sprachli-
chen Ausdrucks fü¡ Um-zu-Motive q'ird im folgenden Dichi weiter untersucht, so wichtig er in anderem Kontext auch sein mag. Der Begriff ,,Weil-Àfotiv" oder ,,WeilSatz" wi¡d ausschließlich auf echte llieil-Ilotive und ihren sprachlichen Ausd¡uck eingeengt. (Die Úbersetzung von Um-zu-Motiven in Weil-Sätze rvird von Scbùtz weite¡ untersãcht in: .,Das \Ãrählen zrvischen Haedlungsentrvúrfen". G,^1 I S. 6o-83; R.G.)
z Vgl. Fußtote r auf S. r8.
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ZURMETITOÐOLOGIE DEIìSOZI¿.LWISSENSCH,A.FTEN
\vISSENSCH.TFTLlCHE I\TE RPRET,{TION
schriebenen Konstruktionen gegrùndet, die sich auf das r,/erstehen des Anderen und des Handlungsmusters im allgemeinen bezíehen. Als Beispiel kann hier die Wirkensbeziehung zwischen Mitmenschen genomrnen werden, die im Miteinander von F.agen und Antw-orten abläuft. Im Entwerfen meine¡ Frage nehme ìch an, daß der Ande¡e mein Handeln als Frage verstehen wird (zum Beispiel, rvenn ich einen Fragesatz áaßere), und ich nehmà an, daß sein Verstehen ihn veranlaßt, so zu handeln, daß ich sein Verhalten als eine angemessene Antwort verstehen kann. (Ich: ,,Wo ist die Tinte?" DerAndere zeigt auf. den Tisch.) Hier ist es das Um-zu-Motiv meines lIandelns, ad.äquate Auskunft zu erhalten. trn dieser besonderen Situation setzt dies voraus, daß
das Verstehen meines l]m-zu-Motivs zum 'Weil_Motiv einer Handiung des Anderen wird, nämlich mjr diese Auskunlt zu geben - vorausgesetzt, daß er dazu fähig und ¡ylllig ist, rvas ich vermutet habe. Ich nehme an, daß er deutsch versteht, daß er weiß, wo die Tinte ist, daß er es mir sagen wird, lvenn er dies i,veiß, etc. Etwas allgemeiner ausgedrückt: Ich nehme in über_ einstimmung mit rneinem verfügbaren Wissensvorrat an, daß er von denselben Motivtypen geìeitet wird, die mich und viele andere früher in typisch ähnlichen lJmständen geleitet haben.
unser Beispid' zeigt, daß serbst die einfachste wirkensbeziehung im täglichen Leben eine Folge von Konstruktionen des Alltags"_ denkens voraussetzt - in diesem Fall sind es Konstruktionen ães erwarteten verhaitens des Anderen die aber a[e auf der Idearisierung gegniLndet sind, daß die ljm-zu-Motive des Handelnden zu Weil-Motiven seines partners werden und umgekehrt. Wir ai" ¿' q+y#ef _dq_B
Stl{; inf ali dies giit in ijñ"i"rt,rrr-úg -it;"i""sprünglich eigenen od.er
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sozial abgeleiteten vãrfügbaren Wissen. I'Iehmen wir nun einmal an, ich suchte nach Tinte, urn meinen Federhalter zu füllen, mit dem ich einen Antrag an den Stipen_ dienausschuß sch¡eiben lviil, d.er, falls bewilligt, meinen g".rr.rl' T.ebensrveg ändern
wird. Ich, der Handelnde, der Anfrãgende allein kenne diesen meinen plan, das Stipendium zu bekom"men,
27
der das \eizte Um-zu-Motiv meines tatsächlichen l{andeLns ist und den zu eru'irkenden Zustand beschreibt. Natürlich kann dies schÌicht in einer Reihe von Schritten geschehen (einen Äntrag ausfùilen, das Schreibzeug in meine Nähe bringen etc.), und ein jeder Schritt tird durch ein,,I{andeln" verwirklicht rnit je eìgenem Entwurf und je eigenen l-im-zu-Motiven. Ðiese ,,Teil-Handlungen" sind jedoch nur Phasen innerhalb des Gesamthandelns, und alie in ihnen veru'irklichten Zrvischenschritte sind bloße Mittel, um das Endziel zu erreichen, rvie es im ursprùnglichen Entwurf definiert wurde. Die Spannweite des ursprünglichen Entwurfs schmiedet die Kette der Teil-Projekte in eine Einheit. Dies wird in foigender Überlegung klar: die Kette verbundener Teilhandlungen, von denen eine jede entworfen wurde, um einen Zustand zu verwirklichen, der nur ein ,,Mittel" zur Erreichung des entr.vorfenen Zlveckes ist, kann in bestimmten
Gliedern durch andere ersetzt lverden, oder es dürfen sogar Glieder ausfallen, ohne den ursprunglichen Entwu¡f irgendwie zu ver¿ndern. (Falls ich keine Tinte finde, kann ich die Schreibmaschine benutzen, um meinen Äntrag vorzubereiten). Mit anderen Worten, nur der Handelnde weiß, ,,rvann sein Ifandeln beginnt und wo es endet," also warum es ausgeführt .,vorden sein u'ird. Die Spannrveite seiner Entwùrfe bestímmt die Einheit seines Handelns. Sein Partner weiß weder vom Entstehen des Entwurfs vor Beginn des Handelns noch vom Zusammenhang höherer Einheit, ín der der Entw-urf steht. Er kennt einzíg das Fragment des Handelns des Anderen, das ihm präsentiert worden ist, nämlich die von ihm beobacirtete ausgefùhrte llandIung oder die vergangenen Phasen des noch andauernden l{andelns. Wenn eine dritte Ferson den mit meiner Frage Angesprochenen spâter fragen würde, was ich von ihm gewollt hätte, so rvürde dieser antlvorten, daß ich tvissen wollte, rvo Tinte zu finden sei. Das ist ailes, was er von meinem Entwerfen und dem weiteren Zusammenhang weiß, und er muß dies als eine abgeschlossene Einheit des Handelns ansehen. Will er ,,verstehen," was ich als Handelnder mit meinem Handeln gemeint habe, so muß er bei der beobachteten ïiandlung beginnen und von da her mein zugrunde liegendes Una-zu-Motiv konstruieren, um dessen willen ich getan habe, lvas er beobachtet hat. Es ist somit geklärt, rvelchen unterschiedlichen Sinn eín
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ZUR METHODOLOGIE DER SOZIALWISSENSCH,A.FTEN
\\iISSENSCH,{.FTLICHE I}iTERPRETATION
låandein von Fall zu
Anderen und ist oft in den Begriffen der sozialen Roile, der sozialen Funktion oder des institutionalisierten Verhaltens untersucht u'orden. Im Alltagsdenken hat eine solche Konstruktion eine besondere Bedeutung fùr Handlungsentwùrfe, die auf das Verhalten meiner Zeitgenossen (die bloße Zeitgenossen, nicht aber auch ,,Mitmenschen" sind) gerichtet sind. Ihre Funktionen kann man u'ie folgt beschreiben: r) Ich halte es fùr selbstverständlich, daß mein Handeln (sagen wir, das Einverfen eines frankierten und richtig adres-
Þ-a1l hat, und zrvat (a¡ für den Handeinden; (b) fùr seìnen Partne¡, der mit ihm in \Ãiirkensbeziehung steht und daher mit ihm eine Reihe von Rerevanzen und zieren telrt;
und (c) für den Beobachte¡, der nicht in eine solche Beziehung verwickelt ist. Ðiese Tatsache fiihrt zu zr,vei wichtigen Folgel rungen: Erstens haben '"vir im Alltagsdenken nur eine Claance, das Handeln des And.eren an Ffand unserer Ziele ausreichend zu verstehen; zweitens, lvollen wir diese Chance vergrößern, so müssen wi¡ nach dern Sinn suchen, den das Handeln fur den Handelnden hat. Somit ist d_a9 3_9-:!g*Jgg,¿qÞi*!:semein--- - --!*%.,.*...-jí*-,'-¿ _,_ " ."ç?.ten Sinn" nicht eine Besonderheit der Soziologiç MãxJtrebersr . n.l^- ,l^À-- Q^-i^l-,,:^^^-^^.--r, ;ã"t tu"thodologie d.er d"r ìlf^+L^'l^l^di¿ Sozialwi.."n..irut, sondern es ist ein Prinzip zur Konstruktion "Íffi von Hand.lungsab1äufen in der Alltags-Erfahrung.* Ðie Ðeutung des subjektiven Sinns ist jedoch nur möglich, índem die einen gegebenen Handlungsablauf bestimmenden ûIotive enthùlIt we¡den. Beziehen r.vir den Typ eines Hand_ ìungsablaufs auf die vorliegenden typischen Motive des Han_ delnden, so kommen wir zur Konstruktion eines personalen Typs. Ðer letztere mag mehr oder weniger anonJiTn und damit i"fratt_ licå mehr oder lveniger leer sein. In der Wir-Beziehung zwischen Mitmenschen kann am Handlungsablauf des Anderen, an seinen Motiven (soweit sie offenba¡ werden) und seiner person (soweit sie im offenbaren Handern einbegriffen ist) unmittelbar teilgenommen werden; die gerade beschriebenen konstruierten Typen we¡den einen sehr niedrigen A.nonymitätsgrad und t ot Maß an inhaltlicher Bestimmtheit zeigen. Sehen wir "in "s von Mit_ menschen ab und konstruieren wir Typen des Handlungsablaufs fùr andere Zeitgenossen, so legen wii den meh¡ odei weniger anon5ãnen Handeinden eine Reihe von vermeintlich invarianLn Llotiven zu, die ihr Handeln leiten. Ðiese Motivreihe ist selbst eine Konstruktion typischer Erwa¡tungen des Verhaltens des I
M.a.1 le!-er, Wirtschalt _und, Gesellschafl, aaO, S.3: ,,Handeln soll dabei ein menschliches verhartea. - - heißen, rvenn und iásofern ars áer oder die Handeìnden mit ihm einen subjektiven Sion ve¡binden. sorr.les r¡ao¿1io Ãe¡ solr ein sorches tandern heißen, welches seinem von dem oder ae" ganãeln-Aen gäeinten Sinn nach auf das Ve¡halten ande¡er bezogen wird und da¡an in seio"_ e¡lãuf ori"ntiert Íst.,, Vgl- auch T. Pa¡sons, Structure ol Sociat ¿,ct¿on, aaO,-Aes. S. gzff., 345_347 und S. 484ff; ferner Felix Kaufmann, aaO, S. ¡66f+ Vgl. ,,Begriffs- uad Theo¡iebiìdung in den Sozialwissenschaften,,, in: Schùtz, Gá I, S.6+f. {M.N.)
29
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sierten Briefes in einen Postkasten) anonyme Mitmenschen (Postbeamte) vera-nlassen rvird, typische Handlungen auszltfüh¡en (die Post zu befördern), und zwar in Übereinstimmung mit typischen Um-zu-Motiven (um ihre beruflichen Pflichten zu erfùllen), und daß am Ðnde der von mir entworfene Stand der Ðinge (Austragen des Briefes beim Ådressaten in angemessener Zeit) hergestelit sein t'ird. z) trch ha-lte es für ebenso selbstverständlich, daß meine Konstruktion vom Typ des Handlungsablaufs des Anderen rvesentlich mit seiner eigenen Selbsttypisierung übereinstimmt und daß die letztere eine typisierte Konstruktion von mir enthält, von mir ais seinem anon¡¡rnen Partner mit typischen Ve¡hal.tensweisen, die rvieder auf typischen und vermeintlich invarianten llotiven basieren. (,,Wer auch immer einen richtig adressierten und frankierten Brief in den Postkasten wirft, wird damit vermutlich beabsichtigen, daß der Brief in angemessener Zeit an den Adressaten ausgetragen werden so11.") 3; Dies gilt umso mehr fùr meine eigene Selbsttypisierung - rvenn ich also die Rolle des Kunden im Postdienst ùbernehrne, muß ich mein llandeln in solch typischer Weise entrverfen, \¡¡ie es meiner -Ansicht nach ein typischer Postbeamter vom Verhalten eines typischen Kunden erwartet. Eine solche Konstruktion miteinander verwobener Handlungsmuster enthüllt sich also als eine Konstruktion miteinander verr,vobener Um-zu- und Weil-Motive, die vermeintlich invariant sind. Je institutionalisierter und standardisierter ein solches Verhaltensmuster ist, je stärker es also in sozial anerkannten Weisen typisiert ist, wie in Gesetzen, Regeln, Vorschriften, Sitten, Gervohnheiten etc., umso größer ist die Chance, daß mein eigenes selbsttypisierendes Verhalten den beabsichtigten Zustand hervorbringen wird.
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'Wir müssen noch den Sonderfall des Beobachters behandeln, der kein Partne¡ in den sozialen Wirkensmustern ist. Seine Motive sind nicht mit denen der beobachtenden Person ader der Personen verknùpft; er ist auf die Handelnden ,,abgestimmt", diese jedoch nicht auf ihn. Mit ande¡en Worten, der Beobachter nimmt nicht an den komplizierten Spiegeiungsprozessen teil, du¡ch die der Handelnde ín das sozia]e Wirkensmuster unter Zeitgenossen einbezogen wird und durch die seine Um-zuMotive für den Partner als dessen eigene Weil-Motive verständlich werden und umgekehrt. Genau in dieser Tatsache gründet
sich das sogenannte ,,Desinteresse" oder Unbeteiiigtsein des Beobachters. Er ist von den Hoffnungen und Sorgen der Handelnden, ob sie sich verstehen rverden und ihre Ziele durch die Verknùpfung ihrer Motive erreichen werden, nicht betroffen. Sein Relevanzsystem ist daher von dem der interessierten Parteien verschieden und es erlaubt ihm, zugleich mehr und weniger zu sehen, als was von ihnen gesehen wird. Aber unter allen Umständen sind es jeweils nur die offenbaren Fragmente des Handeins beider Partner, die seiner Beobachtungzugängiich sind. Um sie zu verstehen, muß der Beobachter sich seines Wissens von typisch ähnlichen Wirkensmustern fùr typisch ähnliche Situationen bedienen, und er muß die Nlotive des Handelnden aus dem Sektor des Handlungsablaufs konstruieren, der seiner Beobachtung zugänglich ist. Ðie Konstruktionen des Beobachters sind daher von denen verschieden, die von den Teilnehmern am Wirkensprozeß benutzt rverden, und sei es nur aus dem einen Grund, daß die Absicht des Beobachters von der de¡ Teilnehmer verschieden ist; damit sind aber auch die Relevanzsysteme verschieden, die sich mit diesen Absichten verknüpfen. Ðs gibt eine gervisse Chance, die allerdings fùr viele praktische Zlvecke jeweils hinreichend ist, daß der Beobachter im Alitag den subjektiv gemeinten Sinn der Handlung des Handelnden erfassen kann. Ðiese Chance wächst mit dem Grad der Anonymi_ sierung und Standardisierung des beobachteten Verhaltens. Der wissenschaftliche Beobachter menschlicher Beziehungsmuster, der Sozialwissenschaftler, muß zum Äufbau seiner Konstruktionen besonde¡e Methoden entwickeln, damit die Verwendbar-
keit seiner Konstruktionen für die Deutung des subjektiven Sinns, den die beobachteten Handlungen für die Handelnden haben, gesichert wird. Von diesen methodischen Werkzeugen interessieren uns hier besonders die Modellkonstruktionen des sogenannten rationalen Handelns. Betrachten tvir zuerst den möglichen Sinn des Begriffs ,,rationales Handeln" in der Alltagserfahrung. III. R¿.TION ÄLÐS HåNDELN INNERH.å.LB ÐER .{LLTAGSERFAHRUNG*
Die l-Imgangssprache unterscheidet nicht sehr scharf zwischen einer verständigen, einer vernùnftigen und einer rationalen Verhaltensweise. Wir können von eineñì Mann sagen, daß er verständig gehandelt hat, falis die Motive und der Ablauf seines Handelns uns, afso seinen Partnern oder Beobachtern, verstàndiich sind. Dies rvird vorliegen, wenn sein Handeln mit einer Reihe sozial anerkannter Regein und Vorschriften übereinstimmt, nach denen er mit typischen Froblernen durch Anwendung typischer Mittel im Blick auf typische Zie\e fertig wird. Fände ich mich selbst oder fänden wir uns oder ,,irgendeiner von uns" in typisch ähnlichen Umständen, so würde er in ebenso ähnlicher Weise handeln. Verständiges Verhalten setzt jedoch nicht voraus, daß der Handelnde durch Ðinsicht in seine Motive und den Zweck-Mittel-Zusammenhang geleitet wird. Eine stark emotionale Reaktion gegen jemand, der etwas verschuldet hat, mag verständig sein, und es mag närrisch sein, sich zurückzuhalten. Falls ein Handeln dem Beobachter verständig erscheint und zudem vermeintlich aus einer klugen Wahl z-wischen verschiedenen }landlungsabläufen hervorgeht, dann können rvìr es vernünftiges Handeln nennen, setrbst da, wo solches Handeln traditiona-len oder habitueilen Mustern folgt, die a-ls selbstverständlich hingenommen werden. Rationales Handeln.setzt jedoch voraus, * \¡gl.
Schutz, ,,The Problem of Rationality", aaO. {I{.N-) 1 Dieses Leibnizsche Postulat liegt offensichtlÍch dem Begriff der Rationâlitãt
zugruld.e, der von eine¡ ganzen Reihe von Forschern auf diesem Gebiet benutzt wird, Pareto verlangt in seine¡ Unierscheidung zs'ischen logischem und oicht ìogischem Hand.eln, daß logisches Handeln MitteÌ und Zt'ecke nicht nu vom Staodpunkt des handelnden Subjekts zu verknùpfen habe, sonCern auch vom Standpunkt anderer Personen, die rveitergehendes wissen haben, also vom standpunkt des wissenschaft-
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32 ZUR METIIODOLOGIE DER SOZIÄLWISSETiSCIIAFTEN
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WISSENSCHAFTLICI{Ð INTERPRETATION
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Diese vorläufigen Definitionen verständigen, vernùnftigen und rationalen Handeins fassen wir so, wie das Alltagsdenken das Handeln Ande¡er im táglichen Leben deutet; es ist jedoch charak-
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(Vilfredo Parelo, Traitato àe Sociologiø GenerøLe, z. Aufl., TTorenz tgz3, englische Ubersetzung The Mind and, Society, Hrig. Ärthur Livingston, New Yo¡k r9j5 unO r942, insbes. Bd. r, Par- r5ofl.) Objektive und subjektive Âbsichten'mùssen ideatisch se:jn. T. Pa¡sons (Stuuctare ol SociøI Action, aaO, S. 58) entwickelt. eine âhnliche Theo¡ie. Pareto gibt jedoch zu (aaO, Par. r5o), daß vonsubjektiveo Standpunkt aus gesehen last jedes menschliche Handel¿ zur logischen Klasse zãhlt. Howard Becker (Through f'alues ta Soci,al Intetaction, Dufnam r95o, S- 23-27) ist.ð.et Meinung, daß Handeln (zweckmàßigeru-eise) da für ¡ationâl zu halten ist, rvo es sich vollstãndig auf ]fittel richiet, die vom Handelnden zu¡ Erreichung von unzw-eideutig vorgestellten Zielen als adäquat aagesehen u.erden. 1 Max l4/eber, W'iztschafÍ. und, Gesellschaft, aaO, S. rg. Die Beschreibung d.es ,,rationaleû Hanclelns "foÌgi der lvebe¡sctren Definition eines der beiden Typen iationãlen Handelns, die er unterscheidet (vgl. Wirtschait und, Gesellschalt, S. ,Zi, nänlich der Definition des sogenannten,,zrveckrationalen Handelns',- wir lassen híer den zr-eiten Webe¡schen Typ rationalen Handeìns, das ,,wertrationale Hand.eln,,, beiseìte, da die Unterscheidung beider Typen im Rahmen der gegenwârtigen Diskussion auJ eine unterscheidung zweier Typen von ,,weil-Motivei',-reduzierl werden kann, die Entwurf des Handelns an sich fuh¡ea. ,,Zweckrationales Handeln,, impliziert, zurn daß in¡e¡halb des Systems hiera¡chischer Eniwufe, vo¡. uns ,,pìáne,, g"r"oit, ,erschìe_ dene wege des Handerns, zu¡ wahl steben und. daß diese wahl ¡ãtioual sein muß; ',wertrationales Handeln" kann nicht zu'ischen verschiedenen Entwufen des Handelns rvählen, die innerhalb des systems seiner pläne dem Handelnden offen stehen. Ðer Entwurf rvird als seibstve¡ständlich hingenommen, aber es gibt offene dte¡nativen, um den entwo¡fenen Zustand zu ve¡rviiklichen, u'd diese mùssen in ¡atíonaler Ausrvahl bestimmt rve¡den_ parsons hat ganz richtíg darauf hingewiesea (in: Max Weber, The 'fheory ol Soc,ial Econonl¿c Organizáûon, Nerv Vo¡k ,947, S. ,o5, .and, Fu8note 3), daß es fast unmöglich ist, die BegriffJ,,zweckratÍonal,, un¿,,rreriratiooaií ins Englische zu ùbersetzen. (parsons ùbeisetzt sie mit ,,rational orientation to a system of disc¡ete ends" bzw. mit,,rational o¡ientation to an absorute varue", R.G-)4ber-diese von Parsons gewährte umschreibuag impriziert bereits eine I¡ter¡¡etation de¡ Weberschen Theorie und ve¡w_ischt ei, *.Lutiges pr"bi";, E;r;ã;"ã;;"ì; Fall der,,Zweckrationarität", ein system diskretezl voneinander getrennter Zwácke vorausgesetzt, ebensowenig u'ie im Fall d.er,,wertrationalität" eln absoluter 1ve¡t rm vorhrnern angenommen w.ird. (Zu parsons eigener Theorie vgt- S. r6ff. seiner Ðinleitung zu dem trVeber-Band.) weit bedeutender ars die Linterscheidung zrveier Typen ¡ationaren Handelns ist fü¡ unse¡ ProbÌem die Gegenùbersteìlung dieser beiden iationalen Handlungstypen zu den Typen des affektuellen und des traditionalen Hande.lns. Dasselbe gilt fur die Mo_ difizierung, die von Howard Becker (aaO, S. zzff.) vorgeschlagen wird: Er unter_ s-cheidet ,,vier Typen von Mirtern',, die von de¡ r,iitgiieiern einer Geseuschaft zur Drreichung ìhrer Zrvecke beforgt werden, urd ,*a, zrveckmasige l_ers.
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Rationalität,
(z) sanktionierte Ratiotraritàt, (3) tradiiionale Nicht-îationaritãt, (4) affektue|e Nicht-Rationalitãt. wäh¡end weber und parsons die zwecke in ihren Begríff der Rationalität aufnehmen, spricbt Becker nrr.,oo,,fyp", o-on l.fitteln,,.
33
teristisch, daß sie nicht nur auf den seibstverständlich hingenomrnenen Wissensvorrat der Ðigengruppe, zu der der Beobachter dieses Handlungsatrtaufs gehört, sondern auch auf den subjektiven Standpunkt des Handelnden verweisen, das heißt aúf seinen verfùgbaren W'issensvorrat rváhrend des \¡ollzugs des Handelns. Dabei tauchen verschiedene Schr.r'ierigkeiten auf: Erstens haben wir gesehen, daß das je vorgegebene Problem durch unsere biographische Situation bestimmt ist. Sie bestimmt damit auch die Relevanzsysteme, in denen die verschiedenen Weltaspekte in Form von Typen konstruiert werden. Der Wissensvorat des Handelnden unterscheidet sich daher notrvendig von dem des Beobachtenden. Selbst die Generaithese reziproker Perspektiven kann diese Schwierigkeit nicht genúgend ausräumen, da sìe voraussetzt, daß sowohl Handelnder als auch Beobachtender ein Relevanzsystem teilen, welches nach Struktur und Inhalt für den implizierten praktischen Zu,eck hinreichend homogen ist. Ist dies nicht der Fall, sc kann ein dem Handelnden vö1lig rational erscheinender Handiungsverlauf dem Partner oder Beobachter ais nicht-rational erscheinen und umgekehrt. Versucht rnan zurn Beispiel, durch Auffùhren des Regentanzes oder durch Besprühung mit SíIberjodid die Wolken zum Regnen zu bringen, so sind dies vom Standpunkt des Hopi Indianers bzw. des modernen Meteorologen subjektiv gesehen rationale Handlungen, obgleich beide Methoden vor gvt zwanzig Jahren von einem Meteorologen f¡jr ,nicht rational gehalten worden wãren.
Zweitens, selbst bei Einschränkung unserer Untersuchung auf den subjektiven Gesichtspunkt müssen wir feststellen, ob nicht eine Bedeutungsverschiebung des Begriffs ,,rationai" - im Sinne
von ,,vernünftig"
- auftritt,
falls der Begriff einmal. auf mein
eigenes vergangenes Handeln, zum anderen auf die Bestimmung meiner zukünftigen Handlungsabläufe angervandt wird. Auf den ersten Blick scheint der Unterschied beträchtlich zu sein. Was
ich tat, ist getan worden und kann nicht rückgängig gemacht werden, obgleich der durch rnein Handeln geschaffene Zustand in Gegenzügen verändert oder abgeschafft werden kann. Bezüglich vergangenen Handeins habe ich keine Moglichkeit der Wahl. Jede ì.eere Erwartung des Ðntwurfs, der meinem vergangenen Handeln vorausging, ist rnit dem Ergebnis des Handeins erfülit
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u,orden ode¡ nicht. Andererseits ist jedes zukünftige Handeln in der Idealisierung des ,,Ich kann immer wieder" ent-worfen, die in der,{usfùhrung bestätigt rvird oder nicht. Bei näherer lJntersuchung zeigt es sich jedoch, daß wir selbst im Urteil über die Vernünftigkeit unseres eigenen vergangenen Handelns immer auf unser zur Zeit des Handlungsentwurfs verfùgbares Wissen verweisen. Wenn wir rückblickend erkennen, daß sich ein unter früheren Umständen als vernünftig entworfener Handlungsabiauf als unausfùhrbar erwies, so können wir uns selbst verschiedener Fehier bezichtigen: eines falschen u*rteils, fails die damals bestehenden Verhãltnísse falsch oder
werfen zukrlnftigen Handelns eine Wahl zl¡,'ischen wenigstens
zwei Verhaltensr,veisen einschließt, nämlich das entworfene I{andetrn auszuführen oder sich dessen zu enthalten. Jede der zur Wahl stehenden Alternativen muß, wie Dewey es
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ausdrückt,z in der Phantasie geprobt werden, um WahI und Entscheidung erst möglich zu machen. Solt diese probende Überlegung streng rationa-l sein, so muß das Wissen des Handelnden von jedem der zur Wahl stehenden und entworfenen Handlungsabläufe in den folgenden Aspekten klar bestimmt sein: a) Das Wissen um die besonderen Verhâltnísse, in denen entrvorfenes l{andeln ansetzen soli, muß klar und, bestimmt sein. Dieses impliziert für den Handelnden eine hinreichend prâzise Definition seiner biographischen Situation in seiner natür-
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lichen und sozio-kulturellen Umwelt. Das Wissen um die Verhältnisse, die durch entworfenes
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1 Vg1. ,,Das Wâhlen zwischen Handlungsentwürien',, in: Schùtz, Gl 1, S77ff2 John Dewey, Hunam l{atute and. Conduct, Nerv York r9zz, Modern Library Edition, S. r9o.
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der Zweck des Handelns, nruß
kiar und bestimmt sein. Da es jedoch schlechthin keine isolierten Entt'ürfe oder Flâne gibt, gibt es auch keine isolierten Zwecke. Aiie mir zu einer gegebenen Zeit gegenw"àr' tigen Entwürfe sind in Systeme von Entwùrfen integriert meine Pläne genannt - und aLle meine Pläne sind in einem Lebensplan zusammengefaßt. Meine Zwecke sind miteinander in einer hierarchischen Ordnung verbunden. Erreiche ich einen Z*-eck, so kann er Rùckwirkungen auf die anderen haben. Ich muß daher klar und bestimmt wissen, rveichen Ort mein Ðnt-*'urf in der hierarchischen Ordnung meiner Pläne hat; ich muß die inneren Verbindungen zwischen dem angestrebten Zweckund anderen Zwecken klar und bestimmt kennen, ebenso ihre gegenseitige Verträglichkeit und ihre moglichen wechselseitigen Rückwirkungen. Kurz gesagt, ich muß kiares und bestirnmtes \4¡issen der Nebenfolgen meines zukünftigen Handelns haben, wie Max lVeber es formuiiert'l I{ein Wissen um die verschiedener\ zlJt Erreichung eines gesetzten Zweckes notrvendigen Mittel, um die Möglichkeit, mir diese Mittel verfügbar zu machen, muß klar und bestimmt sein. In gleicher Weise muß ich lvissen, inwieweit ihre Anrvendung zweckmäßig ist, inwierveit dieselben Mittel zur Erreichung mögiicher anderer Zwecke angewandt werden können und inwieweit die gewählten Mittel mit anderen llitteln
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unvollstãndig festgestellt rvurden; oder einer ungenúgenden Voraussicht, falls rvi¡ zukúnftige Entwicklungen nicht für möglich hielten etc. Wir werden jedoch nicht sagen, daß wir unverminftig gehandelt haben. Es gilt daher für vergangenes a1s auch für zukünftiges Handeln, daß wir die Vernünftigkeit des Handelns nur in bezug auf den diesen Handì.ungsablauf bestimmenden Entrvurf beurteilen ; noch genauer gesagt, unser Urteil verrveist stets auf die Wahl zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Entwùrfen des Handelns. Es ist bereits an anderer Stellel gezeigt worden, daß jedes Ent-
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.ffISSEIiSCHAFTI-ICHE INTERPRETATION
zURMETHODOLOGIEDERSOZIALWTSSETSSCI{AFTÐN
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vertrâglich sind, die zur Verwirklichung anderer Entwùrfe nötig sind. Die Schwierigkeiten wachsen beträchtlich, Jalls der rationale Handlungsentw-urf des Handelnden das rationale Handeln oder Reagieren eines Mitmenschen impliziert' Der rationaie Enti'vu¡f solchen Hand.elns setzt nicht nur hinreichend klares und bestimmtes \Missen der von mir, sondern auch der vom '{nderen definierten Ausgangssituation voraus. z:udemmuß es hinreichend wahrscheinlich sein, daß der Andere auf mich eingestimmt ist und
mein Handeln fùr genùgend ¡elevant erachtet, um in der Weise des Weüs durch meine Um-zu-Motive angeregt zu werden' Liegt all d.ies vor, so muß eine hinreichende Chance bestehen, daß der Ändere mich verstehen wird. Im Fail rationaler \\¡irkensbeziehungen heißt das, daß er mein Handeln als rationales Handeln 1
Vg1. das
Zitat von Max Weber auÍ S. 3z-
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36
ZUR METHODOLOGIE DER SOZI,âL'WISSENSCHAF?EN
WISSÐNSCHåFTLICHE Iì.TTERPRETÄTION
rational interpreiie::en rvird u'd daß er in rationaler weise reagieren wi¡d. Setzt man dies vom Anderen voraus, so impliziert dies aber andere¡seits, daß er hinreichend klares und bestimmtes trVissen hat von meinem Entwurf, dem damit verknùpften Rele_ vanzsystern und dem Piatz, den der Entr,i,'urf in der Hierarchie meiner Pläne einnimmt (zumindest, sorveit mein offenbares Handeln ihÊì d.iese Pläne erschiießt). Andererseits ist damit impliziert, daß Struktur und Ausmaß seines verfügbaren Wis-
sensvorrats in den relevanten Teilen meinem Wissensvor¡at tveitgehend âhnlich sind und daß unsere beiden Relevanzsysteme, wenn sie nicirt überlappen, so doch zumindest teilweise kongruent sind. ìriehme ich ferner im Entwerfen meines Handelns an, daß die Reaktion des Anderen auf mein entlvorfenes Handeln rational sein wird, so setze ich voraus, daß er im Entwerfen seiner Antwo¡t die oben err,vähnten Aspekte (a), (b), (c) seiner Reaktion in klare¡ und bestirnmte¡ Weise kennt. Foþlich muß ich im Ðntwerfen eines rationalen Handelns, das das Zastand,ekommen
einer Verkettung meiner Handlungsmotive mit denen
des
Anderen verlangt (zum Beispiet, ich möchte, daß der Andere etwas für mich tut) , vermitters eines merkwùrdigen Spiegeleffekts hinreichendes Wissen von dem haben, was der Andere weiß (und bezüglich meines vorgegebenen Zjeles für relevant hält), und dieses \4¡issen des And.eren muß eine hinreichend.e Eekanntscha{t mit meinem Wissen umfassen. Dies ist eine Bedingung ideøler rationaler Wirkensbeziehungen, denn ohne solch gegenseitiges Wissen könnte ich nicht ,,rational,, entwerfen, wie mein Ziel mittels Kooperation oder Reaktion desAnderen zu erreichen ist. Des r,veiteren muß dieses gegenseitige Wissen klar und bestimmt sein; eine bloße, mehr oder weniger leere Erwartung vom Verhalten des Anderen reicht nicht hin. Unter diesen Ur:rständen scheint rationales, soziales Handeln
selbst zwischen,.l{itmenschen,, undurchführbar zu werden. Nichtsdestoweniger e¡ha_lten rvir vernünftige Antworten auf unsere vernünftiger Fragen, unsere Anweisungen werden e¡füllt, wir führen in Fabriken, Laboratorien und Búros höchst ,,¡ationa_ lisierte" Tätigkeiten durch, rvir spielen Schach zusammen, kurz çn aus. Wie ist das m Zrvei verschiedene Aìtwortén sctreinen sich anzubieten. E¡-
37
stens, falls es sich um l\iirkensbeziehungen zq'ischerr ,,Mi¡menschen" handelt, konnten u'ir annehmen, dafJ gegenseitige Teil, îaÍte arn aktuellen \te¡lauf des I-ebens des je.*.eils Anderen und ein Teiien seiner Errvartungen (beides so cþarakteristisch für die reine \4¡ir-Beziehung) die gerade analysierten V-oraussetzungen fúr rationale Wirkensbeziehungen bieten- Es ist jedoch gerade diese reine Wir-Beziehung, die das i¡rationale Element jeder geziehung zwischen ,,)Iitmenschen" ist. Die zrveite Antr.vort verweist nicht nur auf die Beziehung zn'ischen ,,Mifmenschen," sondern zwlCçhen_Z_gilgqqi:q4 im allggm rr. Wir könnten die Rationalität menschlichen Wirkens durch die Tatsache erklären, daß beide Handelnde ihr Handeln arr be¡timmten Maßstáben onentieren, die als Verhaltensregeln von der E.gengruppe, der sie angehören, sozial gebiüigt rverden: es sind ì{ormen, Vorschriften guten Verhaltens, die Lebensa¡t, der fùr diese besondere Art der Arbeitsteilung verfügbare Organisationsrahmen, die Regeln des Schachspieis etc. Aber es r'verden rveder der LTrsprung noch_dìe
Tragrreite rligjql
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g*-g€_tr1-llaßstäbe,,rational" ver-tdeañabit
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uãll selbstver_standen. Diese ¡n'erden tradiiibnal ständlich vorgegeben akzeptiert, und im Sinn¿ unserer fruheren Definition wird ein Verhalten dieser Art verständig oder ve¡nunftig sein, es-Þt abql_¡1lght j9!wgqÈil949!gLfn jedem Fall wird es nicht ,,ideal" rational sein, das heißt, es rvird nicht alle in der Analyse dieses Begriffs erarbeiteten Bedingungen erfúllen. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, daß ,,rationales Handeln" auf der Ebene des alitäglichen Denkens irnmer Handeln in einem nicht weiter in Frage gestellten und nich¡ r¡eiter bestimmten Rahmen typischer Konstruktionen ist, nâmlich von Typisierungen der gegebenen Situation, der Motive, der ì{ittel und Zrvecke, der Handlungsabläufe und Persönlichkeiten, die betroffen sind
und als selbstverständlich hingenommen r,verden. Diese Konstruktionen werden jedoch nicht nur vom Handeinden als selbstverstândlich híngenommen, sondern von jedem Mitmenschen wird dies ebenfails vorausgesetzt. Nur einzelne Elementegruppen stehen klar und bestimmt unterscheÌdbar aus diesem Rahmen von Konstruktionen hervor, der so den unbestimmten Horizont dieser Elemente biidet. Auf diese Elemente verweist der Begriff der Rationalität im Alltagsdenken. So können wir sagen, daß auf
38
zuR METHODOLOGIE DER SOZré,LWTSSENSCHÂFf'EN
dieser Ebene ein Handeln besienfalls partiell rational
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-3-
und
daß es Rationalität verschiedener Grade gibt. Zum Beispiel wird unsere Annahrne, daß unser Mitmensch, mit dem wir in eine Wirkensbeziehung verwickelt sind, die rationalen Elemente dieser Beziehung kennt, niemals,,empirische Gewißheit" erlangen
("itt" ,,Mder
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ist
WISSENSCHÀFTLICHE INTERPRET,{TION
,,Gewißheit bis zum
Gegenbeweis") 1, sondern sie rvird immer den Chara-kter der Piausibilitåit, also einer subj ektiven Wahrscheinlichkeit behalten
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(im Unterschied zur mathematischen Wahrscheinlichkeit) . Wir müssen immer ,,etwas wagen" und in ,,Gefahr iaufen," und diese Situation wird in unseren Hoffnungen und Befùrchtungen ausgedrùckt, die einfach subjektive Entsprechungen unserer grundsätzlichen Unsicherheit über den Ausgang unseres entworfenen
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Handelns sind. Sjche¡lich ist die subjektive Chance der Konformität und damit des Erfolgs intersubjektiven Verhaltens umso größer, je standardisierter b zw. anonymisierter das vorherrschende Handiungsmuster ist. Jedoch ist dies das Paradox de¡ Rationalität auf der Ebene der Alltagserfahrung: Je standardisierter das Muster ist, umso r,veniger kann das A.lltagsdenken in der lVeise rationaler Einsicht die zugrunde liegenden Elemente analytisch aufklären. Dies alles bezieht sich auf das Krite¡ium der Rationalität, das auf alltägiiches Denken und seine Konstruktionen anwendbar ist. Der Begriff der Rationalität erhäIt erst seine vo1le Bedeutung auf der Ebene von Modeilen sozialer Wirkensmuster, die vom Sozialwissenschaftler konstruiert werden, und zwar in übereinstimmung mit besonderen Bedingungen, die von der Methode seiner Wissenschaft definiert sind. Um dies zu zeigen, müssen wir zuerst den grundlegenden Charakter díeser wissenschafttrichen Konstruktionen und ihre Beziehung ^rr ,,Wirklichkeit" der Sozialwelt untersuchen, und zwar zlrt Wirktichkeit, wie sie sich dem Denken im Alltag darbietet.
IV.
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DURCH DIÐ SOZI.\LWISSENSCHAFTEN
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Das Postulat
d,er subjekt,iuen
trnterþretøtion
Es steht unter Sozia-lwissenschaftlern kaum zur Ðebatte, daß menschliches Verhalten in seinen Formen, seiner Organisation und seinen Produkten der Gegenstand ihre¡ Wissenschaft ist. Verschiedene Meinungen r.,'ird es jedoch daruber geben, ob dieses Verhalten in derselben Weise studiert werden sollte, rvie der l{aturwissenschaftler seine Cegenstände untersucht, oder ob es
Ziel der Sozialwissenschaften ist, ,,soziale Wirklichkeit" aus der Erfahrung des Nlenschen, der seinen A.Iltag in der SoziaLwelt erlebt, zu erklâren. Ðie einfuhrenden Abschnitte dieser Untersuchung sollten zeigen, daß beide Prinzipien miteinander unvereinbar sind. Wir gehen im folgenden von der Auffassung aus, daß die Sozía"iwissenschaften es mit menschlichem Verhalten und seiner Deutung in der Alltagserfahrung zu tun haben; dies impliziert die Analyse des ganzen Systems von Entwùrfen und Motiven, von Relevanzen und Konstruktionen, die in den vorhergehenden Abschnitten behandelt wurden. Eine solche Analyse venveist notrvendig auf den subjektiven Standpunkt, das heißt auf die Interpretation des }landelns und seines Situationsrahmens, so wie diese vom Handelnden selbst erfaßt we¡den. Da dieses Postulat der subjektiven Interpretation, wie wir gesehen haben, ein allgemeines Konstruktionsprinzip für Typen von Handlungsabläufen in der .Alitags-Erfahrung íst, muß sich auch jede Soziahvissenschaft dieses P¡inzip zu eigen machen, die das
,,soziale
Wirklichkeit" in den Griff bekommen will.
Diese Behauptung scheint jedoch auf den ersten Blick den langbervährten Methoden selbst der höchstentrvickelten sozialrvissenschaftlichen Ðisziplinen zu widersprechen. Ein Beispiel liefert die moderne Volkswirtschaft. Studiert der Volksrvirt nicht das ,,Verhalten der Preise" anstelle des Verhaltens des Menschen in der Marktsituation, den ,,Verlauf derBedarfskurven" anstelle der Errvartungen von Wirtschaftssubjekten, die mit solchen Kurven symbolisiert r"¡erden ? Untersucht der \'-olkswirt nicht
erfolgreich,,Ersparnisse,",,Kapital,",,\\¡irtschaftszyklen," 1 Husserl, Et I ahrung und, Ii rteil, aaO,
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7,
S - 37
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,,Löhne" und,,Arbeitslosigkeit,",,Multiplikatorenl
und,,Mono-
ZUII !f ETHODOLOGIE DER S OZI,q.LWISSENSCHAF-|
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WISSEIiSCH.I,FTLICI{E I NTERPRETÄTiON
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pole," als wären diese Phänomene von jeder Tätigkeit
der
ökonomischen Subjekte völlig gelöst, ivobei er auf den subjektiven Sinnzusammenhang, den diese Tátigkeiten fùr die letzteren haben, erst ¡echt nicht eingeht ? Die Erfolge moderner Wirtschaftstheorien zeigen den Wíciersinn der Behauptung, daß eìn abst¡aktes Begriffsschema nicht erfolgreich fùr die Lösung vieler Probleme verwendet rverden könne. Und âhniiche BeispieÌe könnten a-us {ast allen Gebieten der Sozialwissenschaften gegeben
luerden. Elne genauere Untersuchung zeigt jedoch, daß ein solches abstraktes Begriffsschema nichts anderes ist als eine Art intellektuelter Kurzschrift; die zugrunde liegenden subjektiven Elemente menschlichen Handelns werden entlveder schlicht hingenommen oder bezùglich der vorliegenden rvissenschaftlichen Absicht - des zu prufenden Problems - fur irrelevant gehaiten und daher vcn der Betrachtung ausgeschlossen. Für die Volkswirtschaft ivie für jede andere Sozialwissenschaft bedeutet das Postulat der subjektiven Interpretation richtig verstanden nur, daß r'ir immer au{ die Tâtigkeiten der Individuen in der Soziahvelt und auf deren Interpretation durch die Handelnden im Rahmen von Entwurfssystemen, verfügbaren Mitteln, Motiven, Rel.evanzen etc. verweisen können - und dies bei bestimmten Themen n¿üssen.L Ist dies richtig, so mùssen zwei weitere Fragen beantwortet werden. Einmal haben wir in der obigen Analyse gesehen, daß der subjektive Sinn, den daq Handeln fu¡ den Handelnd.en hat, einzigarLig und individuell ist, da er in der einzigartigen und indi viduellen biographischen Situation des Handelnden grúndet. Wie ist es dann möglich, den subjektiven Sinn wissenschaftlich zu erfassen? Zum anderen ist der Sinnzusammenhang eines jeden Systems wissenschaftlicher Erkenntnis ein objektives Wissen, das allen anderen Wissenschaftlern gleicherart zugänglich ist und ihrer Kontrolle unterliegt, das heißt von ihnen bestätigt, verworfen oder widerlegt werden kann. Wie ist es also möglich, in einem System objektiven \,Vissens subjektive Sinnstrukturen zu erfassen? Ist dies nicht eine Pa¡adoxie? Beide Einrvânde lassen sich mit einigen einfachen überie1 Ludrvig von Mises nenllt mit Rechi seine ,,å.bhandlungen ùber die Õkonomie', Human Ac?ion, Nerv Haven 1949. Vgì. auch F. A. Hayek, The Counter-Reuol,ution of Science, Glencoe,
Ill- :952,
S. z5-36-
4r
gungen zufriedenstellend beantr,vorten. Zur ersten Frage: l\"ir haben r.on Whitehead erfahren, daß alle Wissenschaften ihre eigenen gedanklichen Gegenstánde konstruieren müssen, die die gedankiichen Gegenstände des Alltagsdenkens ersetzen.l Die von den Soziairvissenschaften konstruierten gedanklichen Gegenstánde verweisen nicht auf einzigartige Handlungen einzigartiger
Individuen in einzigartigen Situationen, Der
Sozialwissen-
schaftler ersetzt mit besonde¡en methodologischen Hilfsmit¡etn, die im folgenden beschrieben rverden, die gedanklichen Gegenstânde des Alltagsdenkens, Cie auf einzigartige Ereignisse und Erscheinungen verweisen: er konstruiert ein Modell eines Sektors der Sozialrvelt, in dem einzig die typisierten Ereignisse auftreten, die fùr das besondere, gerade untersuchte Problem des Wissenschaftlers relevant sind. Alles, was sonst noch in der Sozialwelt vorkommt, wird als irrelevant betrachtet, es sìnd zufâllige ,,Dateq" die mit angemessenen methodoìogìschen i{ilfsmitteln von der Frage ausgeschlossen rverden mùssen, zum Beispiel durch die ceteris-þøribz¿s-Annahme.2 Denncch ist es möglich, ein Modell eines Sektors der Sozialwelt zu konstruieren, das aus typischen menschiichen !\'-irkensbeziehungen besteht, wobei, typische Handlungsmuster nach dem Sinn bestímmt lverden, den l sie fùr jene personalen Typen von Har-rdelnden haben mögen, die' man für die Urheber solcher Handlungen häit. Die zr'veite Frage muß noch eingehender verfolgt werden. In der Tat ist es das besondere P¡oblern der Sozialwissenschaften, methodologische Verfahren zur Ermittlung objektiven und uber-
prüfbaren Wissens von subjektiven Sinnstrukturen zu ent-wickeln. Lim dies zuklàren, müssen wir kurz die besondereEinstellung des Wissenschaftlers zur Sozialwelt untersuchen.
z) Der Sozíølw'issenschaftler
øls cles'interess'ierter Beobøchler
Diese Einstellung des Sozìalw-issenschaftlers ist die eines bloß desinteressierten Beobachters der Sozialwelt. Er ist nicht in die beobachtete Situation einbezogen, die ihn nicht praktisch, sondern nur kognitiv interessiert. Sie ist nicht der Schauplatz seiner 1 Vgl. oben S. 3-5. 2 Zu diesem Begriff vgl. Felix Kaufmann, aaC, S. 84lf und S. zr3ff; zum Begriif ,,rvisseoschaftliche Situation" vgl irn gleichen Tert S. 5" und S. z5rn4.
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LUK frL rduuuLUG]Þ
DLrt >ULT¡^LWISSIÌNSUHA,b llrN
\'VISSENSCH.{FTLIC}IE IN"E RPRE].lTION
Tätigkeiten, sondern nur der Gegenstand seiner Kont:grplQti-ori. Er handelt in ihr nicht und hat kein vitates-þgig.,r.-geñËrgèb;ì. seines Flandelns; keine H"ff";;g;;"d*- $iür¿irturrge,ì r,e._ knüpfen sich mit den Konsequenzen seines Handerns. Ðr schaut auf die Sozialwelt mit demselben kühlen Gleichmut, mit dem der liaturwissenscfraft ier alããìeigni;e-in seirìem Lrb"ó;tori,r- r".folgt. Ein Wort der Vorsicht ist hier amPlatz, um mogliche ùIißverstândnisse zu vermeiden. l{atùrlìch bleibt der Sozialwissenschaftier in seinem Aìltag ein menschliches Wesen, ein unter Mitmenschen lebender ilIensch, mit denen er in vielerlei Weisen verbunden ist. Zweifellos tritt wissenschaftliche Arbeit innerhalb einer Tradition sozial aþeieiteten \Ã'issens auf und gründet sich auf die Zusarnmenarbeit mit anderen Wissenschaftlern, verlangt gegenseitige Bestätigung und Kritik und kann nur in sozialem Handeln mitgeteilt werden. Aber insofern wissenschaftliches Arbeiten sozial fundiert ist, ist es nur eine Tätigkeit unter allen ande¡en, die in der Sozialwelt auftreten. Der Umgang mit der wissenschaft und mit wissenschaftlichen Angelegenheiten inner-
halb der soziai¡,velt ist eine Sache, die spezifisch wissenschaftliche Ðinstellung des wissenschaftlers auf seinen Gegenstand. ist etwas ønderes, und diesen zweiten Punkt wolien wir im folgenden studieren. Linsere Änalyse der Deutung der artägrichen sozialwert durch das -Alltagsdenken hat gezeigt, wie die biographische Situation des Menschen in der natü¡iichen Einstellung in jedem zeitptrnkt seine jeweitrigen vorhaben bestimmt. Das betroffene R.elevanz-
system wählt aus dem unbefragten Hintergrund selbstverständ_ lich hingenommener Dinge besondere Gegenständ.e und ihre be_ sonderen typischen Aspekte aus. Der Mensch betrachtet sich im täglichen Leben ats Mitterpunkt de¡ Sozialwelt, die er in Schichten verschiedenen Grades der Intimität und Anon5rmität rund um sich anordnet. Der Soziarrvissenschaftrer röst sich aber von seiner biographischen Situation in d.er Sozialwelt mit dem Ent_ schluß, die desintere_9sr9I_tg_E_Tq!4lg¡g d.es wissenschaftlichen tseobachteðãt r,r.r"H*"" - irr-rrrsèiem Sprachgebrauch: den I-ebensplan u'issenschaftricher Arbeit aufzustelren. was in der biographischen Situation des .Atitags als-¡9]þg_t_v9p!11{!9fr gif t,
_.
rt;
rvas auf einer Ebene höchst
/a +J
relevant zu sein scheint, kann auf der völlig irrelevant r.i,erden. Das Bezugszentrum ist radikal verändert rvorden und mii ihm die Hierarchie der pläne und Entw-ùrfe. Der \4,-issenschaftler hat sich entschieden, einen Flan wissenschaftlicher Arbeit zu verfolgen, geleitet d.urch ein d.esinteressiertes Suchen nach der Wahrheit in übereinstimmung mit vorgegebenen Regeln, urissenschaftliche Methode genannt: so betritt der Wissenschaftler ein Gebiet vor-geordneten \,Vissens, den corþws seiner Wissenschaft.l Er rnuß ent'¡eder akzeptieren, \Á¡as von den anderen \,f issenschaftlern als begründetes \\'issen betrachtet lvird, oder er rnuß Gründe angeben. w-arum er es nicht akzeplieren kann. Nur innerhalb dieses Rahmens darf er sein besonderes wissenscha{tliches Problem auswâhlen und seine wissenscha.ftlichen Entscheidungen fällen. Dieser Rahmen konstituiert sein,,In-einer-tvissenschaftlichen-Situation-Sein," das an die Stelle seiner biographischen Situation als menschliches Wesen in der Weit tritt. Daher bestimmt u'eiterhin allein das einmal gewählte r,vissenschaftliche Problem, was fùr seine Lösung relevant und was nicht relevant ist, was daher :ntersucht werden muß und w-as als ,,Datum" seibstverständlich hingenommen werden kann; es bestimmt damit die Forschungsebene im weitesten Sinn, also die Abstraktionen, Generalisierungen, Formalisierungen, Idealisierungen, kurz gesagt, es bestimmt die zur Lösung des betrachteten Problems notwendigen und zulässigen Konstruktionen. Mit anderen Worten, das wissenschaftiiche Problem ist de¡ ,,Ort" aller rnöglichen Konstruktionen, die für seine Lösung relevant sind, und jede Konstruktion trägt - um einen mathematischen Begriff zw benutzen - einen Index, der auf das P¡obiem verweist, zu d.essen Lösung die Konstruktion entworfen ¡,r'urde. Es folgt, daß jede Veränderung des behandelten Problems und der Forschungsebene eine Modifizierung der Relevanzstruktu¡en und der Konstruktionen impliziert, die fùr die Lösung eines anderen P¡oblems ode¡ auf einer anderen Ebene gebildet wurden, zahlreiche Mißverständnisse und Streitfragen besonders in den Sozialwissenschaften gehen auf eine I{ißachtung dieser Tatsache zurück. anderen
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Kaufmann, aa0,
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undS. e3z.
ZUR }IETHODOLOGIE DER SOZIåLWISSENSCI{AFTEN
(Jntersclñede za'ischen aissensckaftl'ichen Konstru,htione¡t. aon H øn dlun g smw
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Betrachten wir ganz kurz (und sehr unvollständig) einige der wichtigeren Unterschiede zwischen Konstruktiorr"rrä., aútags_ denkens
und wissenschaftlichen Konstruktionen von .ori"Ë.,
Wi¡kensmustern, die im tbergang von der biographisch be_ stimrûten zur r,vissenschaftlichen Situation entstehen. Konstruk_ tionen des Alltagsdenkens lverden vom Standpunkt des ,,Hier,, in der Welt gebildet, womit sich die vorausgesetzte Reziprozität der Ferspektiven bestimmt. Sie setzen einen sozial abgeìeiteten
und sozial gebilligten \{¡issensvorrat als selbstverständlich voraus. Ðie soziale'verteilung des wissens bestimmt die besondere Struktur der typisierenden Konstruktionen, zl'.m Beispiel den vorausgesetzten Anonymitätsgrad d.er personaren Rolien, die Standardisierung der Muster des Handiungsabraufs und die angenommene Konstanz de¡ Motive. Diese sozìa7e verteilung
hângt aber ihrerseits von der heterogenen zusammensetz,rn! des verfügbaren wissensvorrats a-b, die selbst ein Element dei alltäglichen Ðrfahrung ist. Unte¡suchen rvir die Begriffe ,,Wi¡,,,
,,Ihr,",,Sie, " die,,Eigengru ppe,, (.in_gr ouþ) und,,Fiemdgruppe,, {or,t- grouþ), die Begriff e,,Mitmensch en,',,,Zettgerrorr"rr,;,,,ïorgãnger" und ,,Nachfolger,,, so gilt für sie und fùr ihre besondere Strukturierung der Vert¡autheit und Anonymität, daß sie in den Typisierungen des Alltagsdenkens zumindest impliaiert sind, wenn sie nicht an deren Konstitution mit beteiligt iirrd. AU ¿1". gilt nicht nur für die Handelnden in einem sozialen Wirkens_ muster, sondern auch für den simplen Beobachter dieser Wir_ kensbeziehung, der seine Beobachiungen noch aus seiner bio_ graphischen situation in der Sozialweri macht. Der {Jnterschied beider besteht nu¡ darin, daß der Teilnehmer in einem Wirkens_ rnuster durch die Idealisierung der Reziprozität der perspektiven geleitet wird und so seine eigenen Motive mit denen seine¡ Partner fúr verbunden hält, rvährend dem Beobachte¡ d.er Han_ delnden nur die wahrnehmbaren Fragmente des Handelns zugänglich sind. Die Konstruktionen, diã im Alltagsdenken so-
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wohl vom Teilnehrne¡ wie auch vom Beobachter gebildet werden, sind jedoch auf ihre biographische Situation bezogen. Teilnehmer wie Beobachter verfügen über eir:e biographisch bestimmte
WISSENSCH¡.FTLTCHE Iì{TERPRET.A.TION
'ñierarchie von Plánen, aus denen sich die Kette von Motiven ableitet, in der diese Konstruktionen ihren besonderen PLatz haben.
Ðie vom
Sozialwissenschaftler gebildeten Konstruktionen
¡¡renschlicher \4¡irkensmuster sind jedoch von ganz anderer Art. Ðer Sozialwissenschaftler hat kein ,,Hier" in der Sozialwelt, genauer gesagt, er betrachtet seine Position in der Sozial'"velt und das daran geknüpfte Relevanzsystem für sein wissenschaftliches
Unterfangen als irrelevant. Sein verfùgbarer Wissensvor¡at ist ð-er corþurc seiner Wissenschaft, und er muß diesen als selbstverständlich hinnehmen - das heißt in diesem Zusammenhang, ais rvissenschaftlich gesichert hinnehmen - es sei denn, er sagt exp\izit, \áarLlm er das nichi kann. Zt diesem corþats der Wissenschaft gehoren auch die bisher erfolgreich verwendeten Verfahrensregeln, die Methoden seiner lVissenschaft, zu denen die Methoden rvissenschaftlich zuverlässiger Büdung von Konstruktionen zãhlen. Ðiese¡ Wìssensvorratlnat eine ganz andere Struktur, a1s der dem I'[enschen im Alltag verfugbare Wissensvorrat. Sicherlich ivird auch er vielfältige G¡ade der Kiarheit und Bestimmtheit aufweisen. Aber seine Strukturierung u'ird vorn Wíssen der gelösten Probleme abhängen, von ihren noch I'er-
borgenen Impiikationen :.rnd offenen Horizonten bezùglich anderer noch nicht formulierter P¡obleme. Für den Wissenschaftle¡ ist das selbstverständlich, lvas er als Datum definiert, und dies ist ganz unabhängig davon, was von irgendeiner Eigengruppe in der Weit des Alltags als gesichert angenommen rvi¡d.l Das einmal gesetzte wissenschaftliche Problem a-llein bestimmt die Relevanzstruktur. Da der Sozialwissenschaftler kein ,,Hier" in der Sozialweit hat, ordnet er auch nicht diese Welt in Schichten um sich herum an. Er kann niemals mit einem in der Soziahvelt Handeinden in die rnitmenschliche Wirkensbeziehung eintreten, ohne dabei zumindest vorübergehend seine r,vissenschaftliche Ðinstellung awf-zugeben. Der teilnehmend einbezogene Beobachter, zum Beispiel untersuchten Gruppe der Feldforscher, baut eine Beziehung ^ir ais Mensch unter Mitmenschen auf ; nu¡ das Relevanzsystem, das ihm als Aus,,vahl- und Interpretationsschema di.ent, ist 1 Wir klamme¡n belvußt die hier inpliziertea Probleme der sogenannten Wissenssoziologie aus.
46
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zURMETHODOLOGIEDERSOZIALWTssEì,iscHAFTEN
durch die rvissenschaftiiche Einsteliung bestimmt, und es wird bis auf weite¡es außer acht gelassen. Der Soziarwissenschaftler beobachtet also in der wissenschaft_
lichen Einsteilung menschliche rrandlungsmuster oder ihre Ergebnisse insoweit, ais sie seine¡ Beobachtung ,oga.rgti.h onì
seiner Interpretation offen sind. Diese HandlungsmustJ, -"n ", edoch b.e?ùgliçh ihfelqqþj ekti@SlnnEtruktur inlerprçttieren, falls er nicht jede Hoffnung aufgãbã wiil, ,.sp¿þþWi¡þ@e;t,; j
zu_
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*
e¡fass_e¡.
..-.--."--.--=..--=-r
{J1n diesem Postulat zu genùgen, verfährt d.er wissenschaftüche Beobachter in einer l\¡eise, die dem Beobachter sozialer Wirkens_ muste¡ in der Welt des Alltags durchaus ähnlich ist, obgleich er von einem völiig verschiedenen Relevanzsystem geleitet wird.
4)
Das uissensclzaÍtliche Mod,e/,t der Soz,iølaeltL
Der wissenschaftliche Beobachter beginnt mit der Konstruktion trvpischer Muster des Handrungsablaufs, die den beobachteten Ereignissen entsprechen. Ðann bezieht er auf diese typi-áas schen ùIuster des Handlungsablaufs einen personalen typ, Modell eines Handeinden, den er sich mit Bewußtsein-.o.g"_
stattet vorstellt. Ðieses Bewußtsein ist jedoch eingeschränil ";; enthãit nichts rveiter ars die Elernente der Nluster des Hand-
lungsablaufs, die für die .A.usführung des beobachteten Hand.erns ¡elevant sind, das heißt, für das vorliegende probl.em des Wis_ senschaftlers relevant sind. E¡ schreibt also dem fiktiven Bewußtsein eine Reihe typischer IJm-zu-Motive zu, die den zieren der beobachteten Muster des Handiungsablaufs entsprechen, und ebenso eine Reihe typischer Weil-Motive, auf denen die Um_zu_ Þ{otive gegrundet sind. Er nimrnt dabei an, daß beide Motiv_ typen im Bewußtsein des imaginären Handelnden invariant sind. Ðiese Modelle von Handernd.en sind jedoch keine menschrichen Wesen, die in ihrer biographischen Siiuation in der alltäglichen sozialwelt leben. Genau genommen haben sie überhaupi t Biographie oder Geschichte; sie sind in eine Situation gesetzt "irr" ',vorden, die nicht von ihnen, sondern von ihrem Schöpfei, dem Sozialwissenschaftler, definiert wurde. Er hat diese Figuren,
r
Vgl. zu d.iesen Abschnitz
in Ergänzung der in den Fußnoten, ar. rrr r"U l,a. or, n"ìião"fity in the Social lVorld,,,
err%hnten Lireratur: A. Schütz,,,ifr" p.ãbte* of
\,VISSEì'ISCH.I.FTLICHE I}ITERPRETATION
AN
diese Homunculi, geschaffen, um sie nach seinen Vorstellungen zu können. Ðer Soziali¿'ìssenschaftler hat ihnen ein
'anipulieren nur scheinba¡es Bewußtsein zugesprochen, das so konstruiert
wurde, daß der ihnen zugeschriebene verfugbare Wissensvorrat (einschließlich der zugeschriebenen Gruppe inva¡ianter lfotive) jedes von ihnen ausgehende Handeln subjektiv verständlich ¡nachen u'ü¡de, vorausgesetzt, daß dìeses Handeln von r'virklich in der Welt Handelnden ausgefrihrt wurde. Aber die Figur und ihr künstliches Bewußtsein sind nicht den ontologischen Bedingungen menschlicher Wesen unterworfen- Der Homunculus rvurde nie geboren, er wáchst nicht heran und er s'ìrd nicht sterben; er kennt weder Hoffnung noch Furcht; er kennt nicht die Sorge als Hauptmotiv seines Tuns- Er ist nicht frei in dem Sinn, daß er die von seinem Schöpfer, dem Sozialwissenschaftler, festgelegten Grenzen mit seinem Handeln uberschreiten kÖnnte. Er kann sich dahe¡ nur in soiche Interessen- und Motivkonfiikte verwickeln, die ihm vom Sozialwissenschaftler zugeordnet
rvorden sind. Er kann sich nicht ir¡en, wenn der Irrtum nicht seine typische Bestimmung ist. Ðr kann nur zwischen den Alternativen wählen, die der Sozíalwissenschajtler ihm zur Auswahl gestellt hat. Während der Mensch, rvie Simmel es klar erkannt hat,l in jede Sozialbeziehung nur rnit einem Teil seines Selbst
eintritt und zugleich stets innerhalb und außerhalb solcher Beziehungen steht, ist der in eine Sozialbeziehung gestellte Homunculus in ihr total enthalten. Er ist nichts weiter als der Urheber seiner typischen Funktion, da das ihm zugeschriebene künstliche Be.,vußtsein nur die notwendigen Elemente enthä}t, die jene Funktion subjektiv sinnvoll machen. Untersuchèn rvir kurz einige Implikationen dieser allgemeinen Beschreibung. Der Homunculus ist mit einem Relevanzsystem
ausgestattet, das aus dem wissenschaftlichen Froblem seines Schöpfers hervorgeht und nicht in der besonderen biographisch bestimmten Situation des Handelnden in der Welt gründet. Der Wissenschaftier definiert fúr sein Geschöpf, was sein Hie¡ und Dort, was in seiner Reichweite, was ihm ein Wir, ein Ihr und ein Sie sein soli. Der Wissenschaftler bestimmt den Wissensvorrat, d.er seinem Model1 als verfugbar zugeschrieben rvird. Dieser Wissensvorrat ist nicht sozial abgeleitet und verweist auch auf r Vgl. Fußnote r auf S. zr.
ZUR MElHODOI.OGIE DER SOZIALWISSEI{SCH.{FTEN
WISSÐNSCH.l,FTLIC}IE INTERPRETÅTI OIi
keine soziale Billigung, ohne ausdruckrich so entwo¡fe¡ zu sein.
Ðas dem untersuchten wissenschaftlichen problem gemaße Relevanzsystem allein bestimmt die innere Struktur aã. p.o_
blems, das heißt die Ðiement e, ,,wovon" der Homuncolos wissen soìl, jene, die er nur in bioßem Bekanntsein haben sojj und end_
lich die anderen, die er für selbstverständlich hält. Damit ist
festgelegt, was ihm vertraut und rvas anonym sein soll und auf r¿'elcher Ebene die ihm zugeschriebenen Erfahrungen in der Welt typisiert werden sollen. Entwirft der Sozialwissenschaftler das ModelI eines Handein_ den in Beziehung zu .A.nderen - sodaß der Handelnde mit ande¡en
Homunculi in einer Wirkensbeziehung steht - bestimmt er damit auch die Anrvendung der Gene¡althese der reziproken Perspektiven und die je-.veilige Verschränkung und überein_ stimmung der Motive der Handelnden. Die Typen des Hand_ iungsablaufs und die personalen Typen sowie die Definition der Relevanzysteme, Rollen und Motive, die vermeintlich der Homunculus von seinen Partnern bildet, haben nicht mehr den charakter einer bloßen chance, die in den spâter eintretenden Ereignissen erfüllt wird oder nicht. Der Homunculus hat keine leeren Erwartungen, wie der Andere auf sein des Homuncurus Handeln reagieren wird; er ist ebenso frei von Selbsttypisierun_ gen. Er nimmt keine andere Roile an als die ihm vom bozialwis_ senschaftler augeschriebene, also vom Direktor dieses Marionettentheaters, das wi¡ das Modell d.er Sozialwelt nennen. Der Sozialwissenschaftler baut die Bühne auf und ve¡teilt die Roilen, er gibt die Einsãtze und definiert, wann eín ,,Handeln,, beginni und wann es endet, er bestimmt ajso die ,,spannweite der'Ent_ rvürfe." Alle liormen und aile Institutionen, dje das ve¡hartensmuster im Modelì regeln, sind also vom Ansatz her d.urch die Konstruktionen des r,r,issenschaftlichen Beobachters vorgegeben. trn einem derart simprifizierten Moden der Soziarweit sinã rein rationaie Handlungen, die rationale Wahl zwischen rationalen Motiven mögIich, da alle Schwìerigkeiten ausgeschlossen wurd,en,
die den wirktich Handelnden in der Lebenswelt des Alltags be_ hindern' Ðaher bezieht sich der Begriff der Rationaritat iä bereits definierten engen Sinn nicht u.rf .i'Handeln innerhalb der a-Iltäglichen Erfahrung in der Soziarrvert; er ist Ausdruck eines 0eslndeyen Typs von Konstruktionen, g&nz sþezieller Modelle der
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SoziaTwelt, die r,'om Sozíahvissenschaftler fùr ganz spezifisch rnethodologische Zrvecke gebildet rve¡den. Wir müssen nun einige Prinzipien aufzeigen, die allgemein die Konstruktion von rvissenschaftlichen X{odellen menschiichen Handelns leiten, bevor lvir die besonclere F'unktion ,,rationaler"
Modeile der Sozialweit diskutieren.
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der Soz'ialaelt
Wir haben bereits das I{auptproblem der Sozialivissenschaften erwàhnt, nämlich eine Methode zu entlvickeln, um in objektiver Weise den subjektiven Sinn menschlichen Handelns erfassen zu können. Ðabei müssen die gedanklichen Gegenstände de¡ Sozialwissenschaften mit lenen vereinbar bleiben, die von Menschen im Ailtag gebildet rverden, um mit der sozialen Wirkiichkeit ins Reine zu kornmen. Ðie oben beschriebenen Modellkonstruktionen erfùllen diese Bedingungen, falls sie in Übereinstimmung mit den foigenden Postulaten gebildet r,verden:
ø) Døs Postulat log'ischer Kons'istenz Das vom Wissenschaftler entrvorfene System typischer Konstruktionen muß mit dem höchstmoglichen Grad an Klarheit und Bestimmtheit des verrvendeten Begriffsrahmens begründet rverden und es muß mit den Prinzipien der formalen Logik völlig verträglich sein. Ist dieses Postulat erfullt, so verbürgt es die objektive Gültigkeit der vom Soziaiwissenschaftler konstruierten gedanklichen Gegenstände. Ihr ausschließiich logischer Charakter ist einer der wichtigsten Merkmaie, durch die sich wissenschaftliche Gegenstände des Denkens von den gedanklichen Gegenstãnden des Alltagsdenkens, die sie za ersetzen haben, unterscheiden.
b) Ðøs Postulat der
søb'jektioen Iøterþretation
Um menschliches lIandeln erklären zu können, muß der Wissenschaftler fragen, welches Modell eines individuellen Wesens konstruiert werden kann und welche typischen Inhalte ihm zuzuordnen sind, damit die beobachteten Tatsachen als Ergebnis der Tätigkeit eines solchen Individuurns in einem verständiichen
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zURMETHODoLOGIEDÐRSOZr.{LWTSSENSCHé.FTEl{
- und nicht nur der Sczialrvissenschaften øtional die Konstruktion von Modelien ¡ationalen Verhaltens ist etrva-s ganz anderes. Es wäre ein schrverrviegendes Mißver-
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NSC HAFTLICHE MODELLKOìiSTRUKTIOì{E }i VON R.{TIONALEN HANDTUNGSMUSTERN
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und das im Rahmen des Alltagsdenkens. Die Ðrfütlung dieses Postulats verbürgt die l(onsistenz der Konstruktionen d.es Sozialwissenschaftlers mit den Konstruktionen, die von der sozialen \ürklichkeit im Alltagsdenken gebildet rverden.
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PostwJat der Adriquanz
lichen Handelns muß so konstruiert sein, daß eine innerhatb der Lebenswelt durch ein Individuum ausgefùhrte Handlung, die mit der typischen Konstruktion übereinstimmt, frir den Handelnden selbst ebenso verständlich wäre wie fúr seine }ditmenschen,
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z¡tsarnmenhang erklärt rverden. Ðie Erfùrung dieses postulats verbürgt die Möglichkeir, jede Art menschlichen Handelns oder dessen Ergebnis auf den subjektiven Sinn zurùckzuführen, den dieses Handeln oder sein Ergebnis für den Handelnden gehabt
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wISSENSCHÄFTLICHE I}¡TERPRETATIoN
Ätrle Modelle der Soziarwelt sind wissenschaftliche Konstruktionen, sofern sie die Bedingungen jener drei postuiate erfùllen. Aber ist nicht jede, das Postulat logischer Konsistenz erfúllende Konstruktion, ist nicht jede wissenschaftliche Tätigkeít þer
init'ionetn rational ? Ðas ist siche¡lich richtig, aber hier mússen wir einem gefâhr_ lichen Mißverständnis vorbeugen. \,vi¡ mùssen zwischen rationalen Konstruktionen von ModeLlen menschlichen Hand.elns einerseits und Konstruktionen von Modellen rationalen menschlichen Handelns andererseits unterscheiden. Die wissenschaft vermag rationale Modelle irrationalen verhaltens zu konstruieren' ',vie ein Blick in jedes betiebige Lehrbuch der psychiatrie def
zeigt. Andererseits konstruiert das Arltagsdenken haufig irrationale Modelle von höchst rationarem ve¡harten, zum B"eispiel erklärt es ôkonomische, poiitische, militá¡ische und serbst wissenschaftliche Entscheidungen, indem es sie auf Geführe und, Ideologien zurückfuhrt, die das verhalten der Beteitigten reiten soüen. Die Rationarität der Iionstruktion des lfodelIl i.t und in diesem Sinn sind aile richtig konstruierten ÛIodeile "irr"., de¡
Wissenschaften
stándnis, zu meinen, daß es das ZieI der Modellkonstruktionen Soziatrlvissenschaften oder
ein Kriterium ih¡es
ri'issen-
schaftlichen Charakters ist, irrationale Verhaltensmuster so zu interpretieren, als wären síe rational. Im folgenden sind rvir vor allern an der Verwendbarkeit rvissenschaftlicher - und damit rationaler - Modelie rationaler Handlungsmuster interessiert. Es ist ohne weiteres verständlich, daß die rvissenschaftliche Konstruktion des T3'ps eines völlig rationalen Handlungsablaufs, des entsprechenden persona-len Typs,
und auch die Konstruktion der rationalen Wirkensmuster prinzipiell mögtich ist. Ðies folgt aus dêr Konstruktion des Modells eines fiktiven Bewußtseins, bei der der Wissenschaftler einfach jene Ðlemente als fur seín Problem relevant auswählen kann, die rationales Handelns oder Reagieren seiner Homunculi ermöglichen. Das Postulat der Ratíonalität, dem diese Konstruk-
tion genügen müßte, kann man wie foigt fo¡mulieren: Die Typen rationaler Handlungsabläufe und die personalen Typen mùssen so konstruiert werden, daß ein Handelnder in der Lebenswelt dieses typisierte Handeln ausJùhren wurde, falls er völiig klares und bestimmtes \áissen von allen Elementen, und nur von diesen Elementen hätte, die der Sozialwissenschaftler als für sein Handeln relevant voraussetzt, und falls er die konstante Neigung hätte, die angemessensten 'zur Verfügung stehenden Mittel zur Erreichung seiner verrnittels der Konstruktion definierten Zwecke einzusetzen. Die Vorteile, die die Anr'r'endung derartiger I'Iodelie rationalen Verhaltens in den Sozialrvissenschaften bringt, können wie folgt gezeigt rverden:
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Es ergibt sich die Möglichkeit, lluster sozialer Wirkensbeziehungen so zu konstruieren, daß fùr alle Partner der Wirkensbeziehung innerhalb einer vom Sozialvissenschaftler definierten Reihe von Bedingungen, Mittein, Zwecken und Motiven vorausgesetzt werden kann, daß sie rational handein' Ebenfa-lls kann angenommen .,verden, daß diese Bedingungen, Mittel usrv. entlveder allen Teilnehmern gleicherweise bekannt oder zwischen ihnen in einer feStgelegten Art verteilt sind. Durch dieses Ver-
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zuR METI{ODOLOGIE DER SOZL{L\,VISSEI{SCH¡1FTEN
fahren kann standardislertes \,'erhalten, rvie zum Beispiel die sogenannten sozialen Rollen oder institutionelles Verhalten, aus dem Zusammenhang gelöst untersucht werden.
z) Während das Verhalten von Individuen in der
sozialen
Lebeaswelt nicht voraussagbar ist, es seí denn in leeren Erwar: tungen, so ist das rationale Verhalten konstruierter personaler
Tvpen definitionsgemäß als voraussagbar gesetzt, natürlich innerhalb der Grenzen der in der I{onstruktion typisierten Elemente. Das l{odell rationalen Handelns kann daher ais ein Verfahren beirutzt rverden, um abrveichendes Verhalten in der rvirklichen Soziah,veÌt festzusteilen und es auf ,,problemtranszendierende Ðaten" nt beziehen, das heißt auf nicht typisierte EIemente.
3) Ðurch geeignete Variationen einiger dieser Elemente können verschiedene Modelle oder selbst Gruppen von Modellen rationalen llandelns konstruiert werden, um das gleiche wissenschaftliche Froblem zu lösen und miteinander verglichen zu ri'erden.
Ðer letzte Punkt scheint jedcch einer tveiteren Uberlegung zu bedurfen. Haben ¡¿'ir nicht früher festgestellt, daß alle Konstruktionen einen ,,Inder" tr-agen, der sie auf das untersuchte Problem bezieht, und ¡evidiert werden müssen, sobald. eine Problemverlagerung auftritt ? Besteht nicht ein gelvisser Widerspruch z¡¿'ischen dieser Erkenntnis und der Möglichkeit, verschiedene konkurrie¡ende Modeile fùr die Lösung ein und desselben Problems zu konstruieren ? Ðer \,Viderspruch löst sich jedoch auf, wenn lvir beachten, daß jedes Problem nur ein Ausgangspunkt von Impiikationen ist, die
expliziert rverden können, oder in der Husse¡lschen Terminologie,l daß jedes Probiem einen inneren Horizont nicht in Frage gestellter, jedoch fragwùrdiger Elemente mit sich trägt.* {Jm den inneren }forizont des Problems zu explizieren, können
wir die
Bedingungen variieren, innerhalb derer die fiktiven Handelnden handeln sollen, so die Elemente d.er Welt, von d.enen r Zum Begriff des Horizontes vgl. Helmut Kuhn, ,,The phenomenological Concept of Horizon," in: Philosoþhical Essays in Memory ol Ed.rnund. Husserl,, ]ìr.g. M..ri, Farber, Cambridge r94o, S. ro6-rz4; vgl. ferner Ludwig Landgr"ûe i.i Husserl, Erl ahrung, aaO, Par. 8-ro.
* Vgl. z-8. ,,Begriffs- und rheoriebildung in den soziarwissenschaften", in:
Schùtz, Gá I, S. Z3-25. (M.N.)
WISSEIiSCH¡\I.TLICIIE INTEP.PRETåTI
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r.'ermeintlichen Grad der sie u'issen sollen, ferner die je nach dem
Vertrautheit oder Änonymität ver¡oeintlich r.'erknúpften Motive etc. Bescháftige ich mich zum Beispiel als \"oiks¡,virt mit der Theorie des Oligopols,r so kann ich Mcdelle einer einzelnen Firma, eines Industriezweiges oder des gesamten ökonomischen Systems
konstruieren. Beschrânke ich mich auf die Theorie der Einzelfirma (sagen wir, auf die wirkung einer Kartellvereinbarung auf die Produktion einer bestimmten Ware), so kann ich einerseits das lIodell eines Produzentel unter den Bedingungen unbeschránkter Konkurrenz konstruieren, jedoch eiù ande¡es Ìi'iodell eines Produzenten unter d,enselben Kostenbedingungen, aber unter d.en ihm auferlegten Kartellvereinì:'arungen bilden, von denen er rveiß, daß sie den anderen Produzenten der ,,gleichen" Ware entsprechend auferlegt worden sind. lVir können dann die Leistung ,,der" Fi¡ma in beiden llodellen vergleichen' Ðiese I'Iodelle sind Modelle rationalen f{andelns, aber nicht Modeite vom l{andeln lebendiger menschlicher ïlesen in von ihnen definierten Situationen. Ðieses Elandeln soll von personalen Typen ausge{ührt rverden, die der Volkswrrt in der künstlichen u-mwelt konstruiert, in t'elche er seine Homunculi hineingestellt hat.
VI. SCHLUSSBEMERKUNG Das Verháltnis zwischen dem Sozialwissenscha"ftler un4 dgr ,rotr ihm gggcþe{leqql Figq tqfl"ktiettjq,g ' Pt"bi.* dlr theologie und Metaphysik, nåmlich das
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des lVissenschaftlers; sie den ihr die Weishandeln, Zwecke zu dem als kann nicht anders ì{ichtsdestoweniger hat. vorgezeichnet heit des Wissenschaftlers
tiertffiáde
ist ihr zu handeln aufgetragen, ais wäre sie nicht determiniert und als könnte sie sich selbst bestimmen. Eine totale Harmonie ist im voraus zwischen dem determinierten Bervußtsein der Figur und der vorkonstruierten Umrvelt, in der sie frei handein soll' festgelegt und gestattet rationale Ausr'r'ahl und rationale EntI Einen
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der besonri.eren l)ank schulde ich meinem Freuld, Prof' F¡itz \lachlup'
mir gestattet, die folgenden Beispiele seinem Buch The Econotttics ol Sellet's Contþe' rifia;, Modet Analyiis o! SeIIels Conduct, Baltimore 1952, S' 4fT, zu entnehrnen'
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ZUR MF.THODOLOGIE DER SOZIAL\\¡ISSEìiSCHÅFTEN
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scheidungen. Ðiese Harmonie ist nur möglich, da sowohl die Figur als au':h ihre reduzierte l-mwelt eine Schöpfung des Wis_ senschaftlers sind. Und hâlt er sich an die Prinzipien, die ihn bisher geleitet haben, so wird der \!'issenschaftler in der Tat in dem so geschaffenen Universum die perfekte Harmonie finden, die er selbst begrundet hat. ,,i;r9r-1 :
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BÐGRTtrFS- UNÐ THECRIEBILDUIiG I}J DE\1 SOZIAL !VISSENSCHAFTENl
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mit .Absicht an ein im das Dezember rg52 während der aÌ1jährlichen Symposium, Ämerican Philosophical der Association stattfand.z Tagung und gaben Nagel Carl G. Hempel in der sorgfältigen und Ernest die diese Weise, Geiehrten auszeichnet, höchst anregende kiaren Beitràge zu dem genannten Problem. Ihr Thema ist eine Streitfrage, die seit gut fùnfzig Jahren nicht nur Logiker und Methodologen, sondern auch die Sozialwissenschaftler in zrvei ,,SchuIen" gespalten hat. Eine dieser Richtungen meint, daß die l{ethoden der so überaus erfolgreichen Naturw'issenschaften die einzig wissenschaftlichen Methoden sind, und daß daher allein diese in ihrer Gesamtheit auf das Studium des menschiichen Zusamrnentrebens angewandt werden müssen. Die Mißachtung dieses Gebots, so wird behauptet, habe die Sozialwissenschaften daran gehinde¡t, theoretische Deutungssysteme zu entwickeln, die den von den ì{aturwissenschaften angebotenen Systemen im Grad ihrer Genauigkeit gtreichkommen. Diese }fißachtung, so wird rveiter argumentiert, fùhre die empirische Arbeit mit den in beschränkten Einzelgebieten entwickelten Theorien, zum Beispiei in der Volkswirtschaftslehre, zu {ragwùrdigen Ergetrnissen. Die andere ,,Schule" meint, es gebe einen grundsätziichen Unterschied zwischen de¡ Struktur der Sozialwelt und der Welt Das Thema meiner Untersuchung erinnert
der Natur. Díese Meinung führte zu dem anderen Extrem, nâmiich zum Schiuß, daß die Methoden der Sozialwissenschaften I Diese¡ Vortrag s,uide am 3. Mai r953 antäßlich des 33. Halbjahrestreffens der ,,Conference on Methods in Philosophy and the Sciences" in Nes' Yo¡k gehalten. (,,Concept and Theory Formatior in the Social Sciences," in: Jownal oi Phitosoþhy, 5r, r954, S. 257-273. R.G.) 2 Veiröffentlicht in dem Band Science, Language, and Human l?iglzls, Ånerican Philosôphical Association, Eastern Dir.ision, Bd. r, Pbiladelpbia t952, S. 4g-86. (lm folgenden kuru SLH).
ALFREÐ SCHÜTZ
GESAMMELT.E AIJ F.SATZE
I Das Problem dæ sazialen Wirklichkeit MIT EINER EINFUHRUNG VON ARON GURWITSCH UND EINEM VORWORT VON H. L. VÄN BREÐÄ
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MARTIN{JS NIJHOFF
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