Arnd Bauerkämper (Hg.)
Die Praxis der Zivilgesellschaft Akteure, Handeln und Strukturen im internationalen Vergleich
Unter Mitarbeit von Manuel Borutta Mit ei nem Nachwort von Jürgen Kocka
Arnd Bauerkämper, Dr. phil. , i t Ge chäftsführender Leiter des Zentrum für Vergleichende Geschichte Europas, Berlin , und Privatdozent am Fachbereich Geschicht - und Kulturwi ssenschaften der Freien Uni versität Berlin.
Campus Verlag Frankfurt/New York
Inhalt Einleitung: Die Praxis der Zivilgesellschaft. Akteure und ihr Handeln in historisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive Arnd Bauerkämper Ziv ilgesellschaft als Konzept und die Suche nach ihren Akteu ren Hans-Joachim Laulh
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I. Kerne der Zivilgesellschaft Das Öffentliche des Privaten. Die Familie als zivilgese llschaftliche Kern institution Gunilla-Friederike Budde
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Akteure der Zivilgesellschaft vor Ort? Presse, Lokalpolitik und die Konstruktion von »Gesellschaft« im Gouvernement Saratov, 1890-1 9 17 Kirsten Bänker
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Bildung und öffentl iche Partizipation. Sozialdemokratische Bildungsaktivitäten in Leipzig und Pi lsen vor 19 14 Adina Lieske
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II. Zivilgesellschaftliches Handeln Bibliografische Informationen der Deut chen Bibl iothek p bl" · · Die Deutsche Bibliothek veneich I d" Detaill ien e bibliografi ehe Date n~ d ,_esel . u rkat_1on in der Deut sc hen Nationalbib liografie. ISBN 3-593 -3 7235-5 n s rn im ntemet uber h!lp://dnb.ddb.de abrufbar.
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Ziv ilgesellschaft und Ständegesellschaft. Überlegungen am Beispiel Kurlands im 19. Jahrhundert Mathias Mesenhöller
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Arbeiter als die »and ren Akteure« der Zivilge ellschaft. Die Übertragung von Zivilisiertheit an die europäische Periph erie während der Epoche der Russischen Revolut ion Jörn Grünewald
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Ziv ilgesellschaft und Kultur. Programmatik, Organisation und Akteure gese llschaftlich getragener Theater im 19. Jahrhundert Philipp Ther
189
Di kretionspolitik in der Ziv ilge II chaft Manuel Frey
_1 3
III. Konturen und Grenzen der Zi ilgesellschaft »Nationalisierte« Zivilgesellschaft. ng leich e Staatsbürger in Rumänien , 1890- 1910 Dietmar Müller
Einleitung: Die Praxis der Zivilgesellschaft 231
Arnd Bauerkämper
Fe lder zi ilgesellschaftl ichen Handelns? Verbände und Netzwerke des deutschen Bürgertum 1945-1 965 Regina Vogel
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Polnischer Nationalstaat, deutsche Minderheit und Schulwesen 19 18-J 9„9. Ansätze einer Zi ilgesellschaft? Ingo E er
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Gab e~. im 19. Jahrhundert in Polen ei ne Zivilgesellschaft? Erste Uberlegungen Maciej Janowski
293 .
IV. Auf dem Wege zur globalen civil ociety? Grenzen europäischer Zivilisation im piegel des Anderen. Reisende als Akteure der Zivi lgese llschaft zwischen Inklusion und Exklusion Bernhard Struck Rem igranten als Akteure von Zivilgesel lschaft und Demokratie. Historiker und Pol itikwissenschaftler in Westdeutschl and nach 1945 Arnd Bauerkämper
Akteure und ihr Handeln in historischsozialwissenschaftlicher Perspektive
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Ziv il gese llschaftl ich e Akteure und transnation ale Politik Dieter Rucht
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Zi ilgesellschaft aus der Perspektive der Entwicklu ngslän der Berthold Kuhn
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Der Elfenbeinturm und die Zivi lgesellschaft JohnKeane
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~achwort: Ziv ilgesell schaft. Begriff und Ergebn isse der hi sto ri schen I· orschung Jürgen Kocka
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Zu den Autorinnen und Autoren
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Am Beginn der Zivilgesellschaft steht das Handeln ihrer Akteure. Im späten J 8. Jahrhundert von europäischen Intellektuell en herausgebildet wurde das Bürgertum im 19. Jahrhundert zur wichtigsten Trägerschicht zivi lgesellschaftl icher Werte und Strukturen . Jedoch dehnten sich diese anschließend auf die Arbeiterschaft aus . Überdies griffen im späten 19. und frühen 20. Jah rhundert zunehmend Gruppen wie die Frauenrechtsbewegung wichtige zivi lgesell schaftl iche Maximen auf, indem sie eine Teilhabe an politischen Entscheidungen und eine erweiterte gesellschaftliche Parti zipation forderten . Jedoch haben keineswegs alle Angehörigen dieser Schichten ein gleichermaßen nachhaltiges zivilgese llschaftliches Engagement gezeigt. Forschungen zu Akteuren der Zivilgesell chaft sind deshalb geeignet, einzelne Personen und Gruppen in großen sozial n Fo rmationen wie Bürgertum, Adel und Arbeiter chaft zu identifizieren , di e mit ihrem Handeln besonders deutlich als Protagoni ten de r Ziv ilgesellsch aft hervortraten . Darüber hin aus ermög lichen akteurszentri erte tudien eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Funktionen und Rollen der Handlungsträger die nur in spezifischen Konstellationen als Träger der Zivilge eil chaft agi rten . Sch ließlich lenken Untersuchungen zu den Akteuren die Aufmerksamkeit auf di e ind ividuellen und strukturellen Vora ussetzungen zivilgese llschaftl ichen Handelns. Sie akzentuieren damit Zivi lgese!lschafts/ähigkei1 al eine unabdin gbar Handlun gsvoraussetzung. Insgesamt sind Studien zur Handlungspraxis in Zivilgese llschaften gee ignet, die - durchweg zu statisch g fassten - bereichs logischen Begri ffs bestimmun gen zu überwinden und di D namik und Ambiva l nz zivilgese llschaftlicher Aktivitäten ana lytisch zu erfassen und zu erk lären. er tärDiese Forschungsrichtung so ll n die hi r veröfö ntlichten Beiträ0 ken auch durch ihre historische Perspektive. In den vier Kapiteln , d nen die empirischen Studien jeweils zugeordnet sind, wird das Handeln konkreter Akteu7
Das Öffentliche des Privaten Die Familie als zivilgesellschaftliche Kerninstitution
Gunilla-Friederike Budde
»Doch soll das Haus nicht von der Menschheit /rennen. « (Louise 0110)
I.
Vorüberlegungen
War die frühe Zivilgesellschaft ein Männerprojekt? Stößt man auf der Suche nach Optionen und Grenzen weib licher Akteure in der Zivilgesel lschaft des 19. Jahrhunderts vornehmlich auf Grenzen weib licher Partizipation? Zum indest die Mehrheit der mittlerweile im Zuge der spektakulären Renaissance auch historisch inspirierten Forschungen zum Trendthema »Ziv ilgesellschaft« legt diese Vermutung nahe . »Civil Society«, konstatierte Keith Tester lapidar, » is about 1 what happens to us when we leave our family and got about our o, n lifes. « Auch wenn sich die wenigsten frUheren und heutigen Theoretiker der Zivilgesel lschaft einer so lch weiten Umschreibung ansch ließen würden, schein n die meisten Tester zumindest in einem Punkt zuzustimmen: Bei al len Definitionsvarianten, die sich dem Begr iff anzunähern und sich dabei vor a ll em, wi be i schwer fassbare n Begriffen Ublich zu vergewi ern suchen, was Zivilge ellschaft nicht ist, herrscht weitgehender Konsens darüb r, dass sie von der » Privatsph äre« abgegrenzt werden mu ss. »Me istens w ird Ziv il gese ll chaft«, o Jürgen Kockas Resümee, »in Absetzung zum Staat, oft auch in Abgr nzung zur Ökonomie, durchweg im Unterschied zur Privatsphäre definiert.<<2 Für die Frauen des 19. Jahrhund erts hatt d iese Festschre ibung pr käre Konsequ enzen: Als hi torische Akteurinnen wurden sie damit weitg hend au der früh en Z ivilgese ll schaft herausgeschrieben . Je mehr ie eit dem 18. Jahrhundert ideo log isch in di e Privatsphäre der Familie ei ngeschlo. n wurden , desto deutli cher blieben s ie vo n der Öffentli chkeit der Zivi lgese ll chaft au geschlo sen. ls I 2
Tester 1992, . 8. Vgl. z.B. auch Kocka 2000, . 24f. Kocka 200 1, . 9.
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Akteurin nen der Zi il ge ellschaft tau hten ie dieser Konstru ktion ent prechend nur erei nzelt in den aufgrund des restrikti en Vere insgesetzes wenigen ihnen offi n stehenden Assoziationen auf und dann im Kaiserreich als Protagonistinnen der Frauenbewegung. 3 Vor allem die dichotomi eh e Gegenüber tel lung on »privat« und »öffentli ch «, die von der femin istischen G chicht wissen chaft seit einiger Ze it in Frage geste ll t und empirisch wi derlegt worden ist,4 scheint in dem Konzept einer on der »Privatsphäre« strikt getrennten Zivi lgese ll schaft wieder aufe rstehen zu kö nn en. Damit, so ancy Frasers plausi bler Einwan d, geraten auch heutige TI1eoret iker der Zivi lgesellschaft in Gefahr, eine »Rhetori k der Privatheit« aufzugreifen , die in der Vergangenheit »dazu verwendet worden ist, das Universum der leg itim en öffentlichen Auseinandersetzung einzuschränken. « Ihrer Meinung nach mu ss jedoch eine haltbare Konzeption der Öffe ntlichkeit ni cht den Ausschlu ss, sondern den Einbezug sol cher Interessen un d Pro bleme unterstützen die ' von der bürgerlichen, »masku linisierten« Ideologie als »pri vat« etikettiert werden.5 Um ein e weitere Einzäunung der separate spheres zu verm eiden, werden hier nich t die mittlerweile detai ll iert untersuchten Akti vitäten der Frauenvereine und der Frauenbewegung beleuchtet,6 die vor all em im Ka iserreich eindrucks voll die se lbstreferentiell e Dynam ik des zivilgesell schaftli chen Program ms unter Beweis stellten, indem sie sein Gleichheitsversprechen beim Wort nahmen. Vielmehr werd en in diesem Beitrag Gedanken über die »pri vate« Seite der Zivilgese ll schaft und die >>öffentlich e« Seite der Fam ilie enh; icke lt. Nach ein em Überb lick über die Gesch lechterkonzeptionen der früh en Zivilgese llschaft (II.), der ze igen so ll , dass die Geschlechterordnun g keineswegs ein e Marg inal ie auf der zi vilgesellscha ftl ichen Diskursagenda des 19. Jahrhunderts war, sondern dort immer wieder neu ver- und ausgehandelt wurde, kommen die Familie und die in ihr ag ierende n Fra uen als Tei l der Zivi lgese ll schaft in den Blick. Jhrer Fun ktion als ~ittlerinnen ziv.i lgese llsch.aftli cher Werte (III.) sowie als Choreographin nen z1vllgesells chaftl1 cher Prax is (IV .) gil t das Interesse. Wenn hier aussch li eß li ch auf Frauen und Fami lien des Bürgertums oeschaut wird , resul tiert di ese Besch ränkung vor all em aus der ex ponierten R~ ll e die diese soziale Fonnation als Trägergruppe der Zivi lgese llschaft des 18.' und
J 9. Jahrhunderts gespielt hat. Au ch wenn Zivi lgesellschaft und ziv ilgese llschaftli ches Handeln grundsätzlich nicht klassengebunden sind - dies mag auch ein er der Vort ei le des Begriffs gegenüber dem Terminus »B ürgergesellsch aft« sein -, gilt doch gerade in hi storischer Rückschau, dass Fam il ien des Bildungs- und Bes itzbürgertums hin sichtlich ihres Muße- Wohl stands- und Wertepotenzials für die Teilnahm e und Teilhabe am zivilgese llschaftli chen Projekt besonders prädestiniert waren.7 Die zeitliche Konzentration li egt hier auf dem Deutschen Kaiserreich, dem von vielen Histori kern und Histori kerinn en im Vergleich zu den Dekaden zuvor _ nicht zuletzt mit Verweis auf Tendenzen einer »sozia len Mili tarisierung« und einem mit Rass ismus durchsetzten Nationalismus - eine abneh mende Zivi lität attesti ert wird. Mit Blick auf die we ibli chen Akteure so ll hier überprüft werden, inwiewe it Bürgerfrauen in der Praxis Werte vertraten und vermittelten die fü r eine Partizipation an der Ziviigese llschaft rüsteten.
II. Geschlechterkonzeptionen der frühen Zivi lgesellschaft Entsprech end ihrer pol ar, doch komplementär gedachten »natü rl ich en Geschlechtscharaktere«, so di e seit dem 18. Ja hrhundert gängige Argum entation, soll ten Männ er und Frauen sich in unterschiedl ichen Handlungs- und Wirkungssphären finde n, sich ergän zen und ein harmonisches Mi te in ander pfl egen . Die Frau galt »ih rer Natur nach« als emotionsbe lei tet, iv und sanft, der Mann al vemunftorientiert, akti v und stürmisch . Dieser Gedanke ent prach zun äch t durchaus der Idee der bürgerlich en Gese ll schaft als Gem einschaft von differenzierten Indi viduen mit multiplen ldentitäten.8 Diese Akzeptan z der Plurali tät und die fo rcierte funktionale Differenzierung gehörten sogar zu den konstitut iven und neuen Merkmalen ni cht nur der idea len, sondern auch der r al exi tierend n Bürgergese ll schaft, die bewusst Abschi ed nehmen wo ll te von der festgezurrten Kompaktheit altständischer Gruppen des ancien r 'gime.9 7
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iehe hierzu Gerh ard 200 1, S. 79f. 1992 · Zu dieser Problematik der Kategorien , öffentli ch" und „privat" Bock 199 1· H Da vidoff 1993; Budde J997. • ausen , Fra e r 200 1, S. 14 1-1 43, 149. Vg l. hierzu u.a. die gerade erschienene Studi e von chröder 200 1.
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Die heißt keines wegs, das nicht auch in anderen ozialen hichten \ e ibli he Akteure und zivil gesellscha flli che Aktionen nusmachbar wären die .es j edo~h n eh zu unle~ud1.e n gi lt. Auch der noch ausstehende Blick auf z i ilgesell chafl1 1che Le istun gen der Famili e im 20 . Jahrhundert dürfte sich lohnen . Hierzu Budde 2000. Auch Paul Nolte sieht in der „Zul assung und Em1ögli chung von Differenz" ei ne „un abdingbare Vornussetzun g für Zivi lge ellschafl." Vgl. N ltc 200 1, . 25.
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D eh mit d r polar n Ge chlechterordnung wurden nich t nur »U ngleichheiten« angenommen , sondern die e gleichze itig auch in einem System der Überund Unterordnung erankert. Wer nach diesem nicht nur kontrastierenden, sondern auch hierarchisierten Modell den dom inanten Part überneh men so llte, stand außer Frage. Wie aber vertrug sich di e Idee wei bl icher Unterordnung mit dem zivilge ellschaftlichen Programm allg mein r Chanceng leichheit und Entfaltungsfreiheit ohne Rücksicht auf Geburt und da mi t auch Gesch lecht? War die lange vef\' ehrte spät und zögernd ein etz nde und bis heute nicht beendete Emanzipation der Frauen in den zentralen Prinzi pien der Ziv ilgese llschaft angelegt oder gehörten Ungleichh eitsmuster nicht ielrnehr zu ihren Grundp fe ilern? Gegen die erste Annahme sprechen die nicht abnehmenden sondern noch wachenden Ungleich heiten und ihre lnstitutional i ieru ng auf sozialem, rechtlichem und politischem Geb iet zum Jahrhundertend e, als es s ich verbot, sie noch als l'ä ndi sche Überhänge und Traditionsrelikte erklären zu wo ll en. Immerhi n trieb diese Unstimmigkeit zwisch n uni versal em Versprechen und exkl usiver Realität auch die Vor- und Meisterden ker des emphatischen Programms der Zivilgesellschaft um . Beflissen suchten sie nach ein er Leob itimation . . der Diskrepanz. Legionen von Publikationen theologi scher, philosoph ischer, pädagogischer und naturwissenschaftlicher Pro enienz, ein zio ersonn en um das dualistische Modell der Geschlechterbeziehungen zu stütze: und zu ~dieren 1 strömten in die Öffentlichkeit. Friedrich Herders »Adrastea« aus dem Jahr 1803 lieferte ein Erklärungsmuster, dem offenkundig viele fol gten . Danach, so erklärten zwei Freimaurer einer fiktiven Gesprächspartnerin die ihr verwehrte Logenm!tgliedschaft erübrige sich für Frau en eine Unterscheidung von rein menschlichen und bürgerlichen Pflichten da sie als »Erzieherin nen der Menschhei t fortwährend im Paradiese« der »häu slichen Gese llschaft« lebten wäh rend der Mann fl..lr sich und die Familie die »Lasten des bürgerlichen L~ben s« zu schultern habe. Der Mann müsse in der bürgerlichen Gesellschaft, im öffentlichen Raum bestehen, die Frau könne sich im privaten, »rein menschlichen< Raum entfalten. Fo lglich bedürfe sie auch nicht einer Geselligkeit, welche die Trenn un gen der bürgerlichen Gesellschaft zu überwinden suche und auf das »Reinrnensch liehe« zie le. 11
°
Offens ichtlich reagierte man mit so lchen Erklärungsbemühungen nicht nur auf selbst erkannte Spannungen des Gedankengebäudes, sondern auf die all erorten sich wandelnde Gesch lechterordnung, deren rea le Beweglichkeit es zu do10 1-lagemann 2000. 11 Herder 1886/1967, . 13 2; Hoffmann 2000, S. 44 .
mestizieren ga lt. timmen, die dafür plädierten die Ungleichheit nicht zu rechtfert igen, sondern aufzuheben, waren nur leise vernehmbar. Vie lm ehr halfen die meisten krä~ig mit, »diese Ordnung unbeschadet in die bürgerliche Gesellschaft hinüber zu retten und gegen die Dynamik des modern en Denkens und sozialen Wandels zu verte1'd'1gen.« 12 Namentli ch die seit der Spätaufkläru ng entwicke lte Wissenschaft vo m Menschen, die Anthropologie, diente als Argumentationsquelle, aus der dabei eifr ig geschöpft: wurde. Indem sie die Gesch lechterdifferenz als natürliche, sch ließ li ch auch anatomisch an der Ungleichheit der Körper wi ssenschaftlich fund ierte Tatsache ausarbeitete und mit weitreichenden Bedeutungen ausstattete trug sie dazu bei, dass die vordem durchaus anerkannte Historizitäl der Geschlechterordnung 13 eingefroren und dagegen die »historische Konstante« einer »weiblichen Sonderanthropo logie« langfristig verankert wurde. 14 Bestechend schematisch und dami t das Bedürfnis simplifizierter Ordnungsvorstellungen erfü llend geriet die Geschlechterordnun g zum grundlegen den Denkmode ll vor all em bürgerl icher Selbstrepräsentation , jedoch mit we itreichender, · klassenübergreifender Au strah lungskraft. Den zugew iesenen »natürli chen Geschl echtscharakteren« so llten die zugeschriebenen Räume von Bürgern und Bürgerinnen entsprechen. Danach ga lt der als »privat« konstrui erte Raum der Famili e als Frauenraum , während sich di e Männer im Bereich der beru flichen , politischen und ku lturellen Gestaltung in der »Öffentlichkeit« der Zivilgese llschaft bewegten. In di eser Pl atzanwe isung wiederholte sich das männlich -weib li che Ungleichgewicht mit seinen un terschiedl ichen Machtpotenzialen di e nich t zul etzt du rch rü ckbli ckende Hi storiker und Hi storikerinn en, di e damit gleichze itig Hau pt- und Nebenschaupl ätz der Geschichte defini erten, zu überzeitli chen Uni versalien erhoben wurden. Doch ungeach tet der geschlech tsspezifischen Ei nfä rbung di e er Orte rwiesen sich ihre Ränd er in der sozialen Pra i al hi torisch höch t variabe l du rchlässig und fli eßend. Auch wenn sich unschwe r Räum e in der eschichte au machen lassen , in denen entweder Bürge rinnen oder Bürger ton angeb nd wi rkten, bestanden di ese nicht als frei schwebende, autonom e Frauen- und Männerin ein , sondern waren durch Interaktion Kooperation und Konflikte eng mitein ander verwoben und aufe inander bezogen und damit einer tändigen eukonstruktion au sgesetzt. Fraglos waren auch im 19. Jahrhundert Geschlecht und Gesch lech12 Hausen 1998, . 26. 13 Sprc 1994 . 289. 14 Ho ncgger 199 1.
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t rdifferenz Produkte diskursiver Konstrukti on und damit keineswegs irreversibel. Sie wurden in verschjedenen Kontexten auf erschiedene Art mit untersch iedlichen Konsequenzen imm er wieder neu hervorgebracht. Eine spezifisch bürger li che Gesch lechterordnung ntstand im Zusammenspiel von normati ven Entwürfen und ubjektiven Erfahrungen , an dem Männer und Frauen gleichermaßen beteiligt aren. 15
III. Frauen al Mittlerinnen zi il gesell chaftlicher Werte Zu den Orten an denen die e zi ilgese llschaftlich ausgehande lte und für die Zivilgesellschaft konstitutive Geschlechterordnung fortwährend auf di e Probe geste!lt wurde, gehörte die Familie. Indem ausschli eßlich bereichslogisch argum.~nt1ere.nde :neoretiker der Zivilge ellschaft häufig eine starre Trennung von »Offenth~hke1t« und »Pri vatheit« vorau ssetzen und g leichzeitig für das 19. Jahrhundert eme »Privatisierung« der Familie kon statieren, die sie mehr und mehr on der Auß.~nwelt absc.hottete, rücken sie die Fami lie an den Rand der Zivi lgeell schaft. Nahert man sich dem Konzept hingegen, wie hier in tendiert auch aus handlungslogis~her Sicht und schaut auf die soziale Prax is mit ihrer permanenten Gre~z.llb~rscl~re1~n.g von öffentlich und privat eröffnet sich die Chance, die 11 Fami.lie '. ~1e Z1v1lgesellschaft zurückzuholen j a sie als zivilgesellschaftliche Kern 111st1tution zu verstehen. Diese ~ichtweise widerspricht - wie bereits angedeutet - dem mainstream der Theon~n zur Zivilgesellschaft, nach dem die Familie bestenfalls zu den ~> Randbere1ch.en der zi~il.gesellschaftlichen Organisati onen « gehört.16 ah Hege l 111 der als pn at konzip1e~en .» modernen Famil ie« noch eine der Ziv ilgese llsch aft vorge lagerte und für sie Grundbedingungen bietende Instituti on kons:ru1erte Jürgen Habermas sie als exp lizite Gegensphäre zu taat o·· k ·. d , onom1e un Offi 1. k . 11 · ent ich e1t. Jean Cohen und Andrew Arato gehören z d · d' d' .. u en wenigen, 1e 1e Fam1h~ als »~ore c.omponent« in die Zivi lgesell chaft integrieren wo ll en .1s Als Inst1!ut1on , di e lnd1 v1duen auf freiwillioer Basis und 1·n ge · Ab · 1 o memsamer s1c 11 zu sammenführt, die auf gegenseitiger Sol idarität und ko llektiver Identität fußt 15 Siehe llabem,as 2000; Budde 2000. 16 olle 2001 , . 9. 17 liege! 1830/1 969; l labennas 1962. 1995: llabcm1as 1981 . 18 Cohcn/Arato 1992, . 538.
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den Ego ismus durch Empath iefühigkeit temperiert betrachten sie die Familie als . .on par exce IIence«. 19 chl üsse linstitution, als »the voluntary as ociat1 Diese in der aktuellen Diskuss ion noch wen ig durchgesetzte Interpretation entsprach dem Selbstverständnis vie ler Bü rgerfrauen des ausgehenden 19. Jahrhunderts offenbar durchaus. Glaubt man ihren zahlreichen Aufzeichnungen sahen sie sich kein eswegs als Randfi guren des zivilgese llschaftlichen Projekts. Bestärkt durch zeitgenössische Diskurse, in denen die Erziehung künftiger Bürgerin nen und Bürger zunehmend zum wichtigen Thema wurde, wa ren sie s'.ch ihrer Bedeutung für die Sozialisation der jeweils nachkommenden Generat ion wohl bewusst. Ze itgenössische Pädagogen nährten das mütterliche elbstvertrauen in ihre Erziehu ngskompetenz. 20 Dass diese Aufgabe nicht als we ibliche »Pr ivatsache«, sondern auch als eine »öffentliche« Angelegenheit betrach tet wurd e, bestätigen auch di e Tagebuchnot izen der sechsfachen Mutter und Kau~mannsgattin Helene Eyck, in denen sie von allabendlichen Gesprächsrunden mit den Nachbarn berichtete: »Wir sprachen eben von allem und daß da di e Kinder un d die Kin dererziehung nicht unerwähnt blieben ist selbstverständ lich .«21 Namentli ch die Entwick lung der Fami lie zu der nu r aus Eltern und Kindern bestehenden Kleinfamilie mi nderte ei nerseits die Möglichkeit inn erfamiliale n pädagog ischen Erfahrungsaustausches, erhöhte aber andererse its di e ~otwe ndigke it Sachkenntnis auch außerhalb der fam il ialen Sphäre zu Rate zu ziehen. ach geb~lltem und stets greifbarem Expertinnenwissen, das die Großfamilie hä ufig hatte bieten könn en, musste nun anderswo Ausschau gehalten werden. eben den informe llen Gesprächsrunden belegen die lur von pädagogi chen Handb üchern , die Füll e von Leserbriefen in Fa mil ienzeitschr iften und die um fangreichen Korrespondenzen über den Famil ienkre is hi naus dass viele Frauen des Bü rgertum s di esen Weg wähl ten. Dam it leisteten sie einen wesentlich n Bei trag dazu dass rziehung und Familie zum Thema auf der ziv ilgese llsch aft lichen Agenda avancieren konnten. Sie traten dabei ke in eswegs nur als Rez ipi entinnen auf,
ohcn/Arato 1992, . 629. »We ne erthc lc belic e timt it , uld have be~ n ?ellcr l include th e fa mily wi thin civil society, as its first ass ciation. (.. .) _rar 1he~ 1he lo_mil y co~ld have taken its pl ace as a key instituti n in ci il societ~, one that ,. 1f co nce1 ed .' in .cgol'.tnri an tcm,s could have provided an ex peri encc of honz ntal olida rny, lle t1ve 1dent_it . and equa l 'participation t the autonom us in
sondern gestalteten den Diskurs ent cheidend mit. 22 Durch die e Form der Veröfö ntlichung der als pri at dekl arierten Belange widerlegten sie eindringlich die V r t llung dass m_it_ der !'Llr das 19. J_~hrhund rt konstatierten »Privatisierung« der »modernen Fam1l 1e« diese au der Offentlichkeit ver chwand. Doch nicht nur als itgestal terinnen pädagogischer Disku rse zur Theorie der ~rziehung, sondern auch in der Praxi übern ahmen die Frauen eine Sch lüsse lpos1t1on. Ihnen kam s nicht zuletzt zu ihren Kindern Werte zu vermitteln di e sie für die Bewähru ng in der Zivilge ellsch aft wappn en sollten. Nicht nur d/e Berliner Kaufmannsgattin Helene Eyck, die zwischen 1876 und 1898 akribisch Buch führte über die Entwicklungsschritte ih rer sechs Töchter und Söhne war sich ih rer VeranhJ ortung wohl bewusst. »Möge es mir doch ge lin gen im ~erein mit meinem geliebten Manne die Kinder zu den Menschen zu erziehen, die ich so gern aus ihnen machen möchte ( ...) ke ine Wun derkinder, nur nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft« fonnu lie1te sie ihre Erziehungsmax ime.2J Die Familie zu einer »friedlichen Stätte« zu gestalten, damit die Ki nder »den guten Keim forttragen und pflan zen und wieder zu einer guten aat brinoen« betrachtete sie dabei als ihre Hauptau fga be. Auch wenn im Vokabular der s:chs~ fachen Mutter der Tenninu s »Zivilgesellschaft« nicht zu find en ist - er war oenerell kein Begriff des ausgehenden 19. Jah rhunderts -, verweist eine Vi elzah7 von ähnlich lautenden Erziehungswünschen auf Vorstell ungen, die wir gemein hin dem Programm der »Zi ilgesellschaft« zurechnen. Dabei schien Helene Eyck sic h sehr sicher we l he Werte es waren die ie ihren Kindern auf dem Weg ins Bürgerleben mitgeben woll te. Neben der Erziehung zu einem »geraden, wah rh eits li ebenden harakter« dominierten in ihrer pädagogischen Buchführung vor allem drei Aspekte der Entwick lun g die sie zu fd_rdem bestrebt war. Zum einen ging es ihr darum , in ausg iebigen MutterKmder-Gesprächen , geführt in einer Atmosph äre des Vertrau ens die kindlich e eugier zu wecken, zu erhalten und zu nähren. Imm er aufs Neu~ entzückt von den »unschuldsvollen Fragen« ihrer Jüngsten »nach dem Großen , das di e We lt bewegt«, kon statierte sie mit Genuotuung die »schö w·iss beg1·erde« 11res ·1 . . "' ne zwe iten Sohnes. »Sie wird ni e irgend etwas hören , das sie nicht versteht ohne e: h nach der Bedeutung zu fragen « lobte sie eine andere Tocht·e D . . . ' r. » a man « so I u r sie 111 deren Beschreibung fort »ihr gern zuhört und sie so · dl . h I d nie 1c zu p au ern versteht, so wird ihr manchmal etwas durchge lassen das s·,e e· · t" , m weni g un ar 1g 22 Dnzu gehörten u.a. Louise Otto , Ag.nes von Bohlen Julic ßurow Amel Böl K Rudol h" EI" p lk d H · . . · , Y te. aro 1inc p 1e, 1se o o un ennclle Dav1d1s. Vgl etwa vo n ßohlen 1859 Quellensammlung bietet Häntzs hel 1986. · in e gute 23 Hervorheb ung G.-F. B. a
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macht, doch werde ich ohne ihr nachzugeben, gut mir ihr fertig, denn Einwä nden , die ihr Verstand ge lten läßt, weiß sie sich zu finden«. Auch der zeitweiligen Eigenwilligkeit ihres Zwe itgeborenen wusste ie stets zu begegnen, ka m er doch »stets von se lbst zu besseren Einsichten, sobald man sich Zeit nimmt, ihn auf den rechten Weg zu bringen.« Wissensbegierde und Weltinteresse erschienen ihr als positive und förderu ngswürdige Eigensc hafte n, wie sie wiederhol t hervorhob: »Ich glaube doch, daß es ein rechtes Glück ist, wenn Kinder Vieles erfragen und ein noch größeres für sie se lbst, wenn sie exakte und möglichst der Wahrheit nahe Antw rten erh alten. « Erziehung durch Überzeugung - so lautete das Credo dieser Bürgerfrau. Dass sie mit dieser Erziehungsmaxime, laut ihrer Beschreibung er langt durch ausgiebige Mutter-Kinder-Diskussionen , den richtigen Weg wählte, sah sie immer dann bestätigt, wenn ihre Kinder auch außerhalb der eigenen vie r Wänd im oese ll schaftlichen Verkehr brillierten. Dabei goutierte sie nicht nur, wenn sie mit ::, »netten Manieren« und »gutem Betragen« zivile Umgangsfo rm en zur , chau stellten , sondern durchaus auch, wenn s ie Espr it, Ironie und Kritikfäh igke it an den Tag legten. »S ie ist augenblick lich, besonders in Gesellschaft anderer (... ) wenig liebenswürdig, beobachtet dagegen sehr scharf und teilt später ihre Vermutu ngen, ih r Urteil mit«, kommenti erte sie, durchaus verständnisvo ll , eine Ph ase ihre pubertierenden Toch ter. Wenig später sch"\ ärmte sie von deren jüngerer Schwe ter: » ie kann sehr heiter und ausgelas en sei n und ersteht e , ei nen Witz zu pariren! «24 Die Fähigkeit, »mit eigener Stimme zu sprechen«, nach ancy Fraser die Grundl age ziv il gese llschaftlicher Parti zipation ,25 erschien auch di eser Bürgermutter aus dem Kaiserreich als erstre ben we rtere Erziehungsziel. Konflikte auszutragen und Kompromi sse auszuha lten , gehörten dazu . Ungeachtet der zeitgenössisch herrschend en Geschlechterkonz ptionen förderte sie kommunikative Eigenschaften, we lch e die Di ku sionsbe reitschaft und -fä higke it beflüge lten und das gegenseitige Zuhören honorierten, sowohl b i den öhn n als auch bei ihren Töchtern. Dass ihre Kinder zum zweiten eben fa lls unabhängig von ihrem Ge eh!echt früh zur Selbständigkeit erzog n werden sollt n tand fü r di se Bürg rfrau außer Frage. Auch wen n sie in ihrem Ehrge iz ob der Leistungen ih rer prä lin ge immer wieder zu Abstrichen gezwungen war, gab sie die Hoffnung nicht auf, »tüchti ge, se lbsUlndige Menschen aus ihnen all en zu m chen .« Unt r den Erziehun gszielen die sie immer wi der nannt , ti cht der Wert der Eigen tänd igkeil
,
24 Eyck, Eintrag vom 3 1.t 2. 1888 u. 7. 10. ISr . 25 Frnser 1986.
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be onder hervor. Die Kinder frilh in die Lage zu vers tzen, für ihr Denken und Tun Verantwortung zu übernehmen, er chien ihr als Quintessenz eines erfolgreich n Erziehun g proze ses. . Obwohl selbst hne B ruf! au bildung, nahm sie ihre Töchter exp lizit von dieser Chance zur Selbständigkeit nicht au . »Denn mein Wunsch und Wille ist es«, chrieb sie, » ie in irgend einem Fache so weit auszubilden , daß sie darin auf eigenen Füßen stehen und ich, wenn nötig durch Leben helfen kann! « Diese Offenheit un ter chied Hel ne E ck n h deutlich von der Mehrheit ihrer bürgerlich en Zeitgeno sen und -genossi nnen . In zahlreichen Selbstzeugnissen, .or all~m aus der Feder von Protagonist inn en der alten Frauenbewegung, lassen sich die vielen Mut1er-Tochter-Kontlikte nachlesen, die hinter den Türen der B.ürgerhä~ser ausgefochten wurden. Helene Eyck war mit ihrer Beobachtung 111cht allem, wenn sie am 29. Dezem ber 1896 über ihr älteste Tochter in ih rem Tagebuch verzeichnete: »Ich glaube mich nicht zu täuschen wenn ich annehme daß sie mir weniger gut als früh r ist und sich mir weniger vertrauensvo ll nä~ hert.« . Fanden Bürgertöchter im ausgehend en J9. Jahrhundert nun häufig väterlich es Wohlwollen partiell sogar Unter tützung für ihre »unweiblichen « Autonomieambi tionen , en iesen sich Bürgermütter nicht se lten als Sand im Emanzipation 26 getr iebe. . Immerhin sah auch die Berliner Kaufmannsgattin - ihr Einschub »wenn nötig« unterstreicht di es - ein e Berufsausbi lduno ihrer Tochter nur als notwendige Schutzmaßnahm e, fal ls sich ihre »e igent1fche« Bestimmuno als ~ aus~rau .u~d Mutter nicht erfüllen sollte. Traditionell verfestigte und fe:ini s1 ti sch n.spmert~ Ideen über die Rolle der Frau lieferten den Ausgangspunkt für so lch emen weiblichen Generation enkonflikt, bei dem die Töchter die » Waffen« der Argum entation skompetenz anwandten, die ihn en ihre Mütter selbst - mittels Erziehung - in die Hand gegeben hatten . . Solche Debatten bewiesen wieweit die Idee der Zivi lgese llschaft selber Medium der Selbst- und Fremdkritik werden und so a · hI V us s1c 1eraus oraussetzung~n ~u Ref~rm und Wandel schaffen konnte. Diese se lbstreferentielle Dynamik. hi er 1m. Erz1ehungsproz~ss zwischen Müttern und Töchtern reflektiert, spiege lte II h ft · auch die Span nungen, Ja »Paradoxien« wider di e de z· ·1 . . , r 1v1 ge e sc a eigen " aren und smd. In klus ion und Exk lu sion bestimmten auch Se lbst- und Fremd1· h F ·1· entwUrfe, Eigen- und Fremdempfindunoen wie sie in der bü . o , rger rc n am 1 1e 1 k ange legt wurden. Die Rolle von Emotionen gehört zu den b' 1 . 1s ang noc 1 aurn beachteten Ingredienzen der Ziv il gese ll schaft Zwar werden et T · wa » oeranw I 26 Budde 1994, S. 187-1 92.
und die »Orientierung am allgemei nen Wohl« als Grundwerte einer »Kultur der Zivilität« besonders hervorgehoben , ohne jedoch die emotive Komponente ei nes solchen Habitus eigens zu ak.zentuieren .27 » Wahrscheinlich «, so hat Anthony Giddens eher zurückha ltend, doch ei nleuchtend spekuliert, »si nd Individu en, die sich in ihren eigenen Gefühlen auskennen und in der Lage sind, sich in die der an deren hineinzuversetzen, tatkräftigere und engag iertere Bilrger al jene Menschen, die nicht Uber solche Fähigkeiten verfügen.«28 Helene Eyck hätte ihm sicherlich Recht gegeben. Sie sah es zum dritten durchaus als ihre Aufgabe an, sowohl kognitive als auch emotive Fähigkeiten und Eigenarten bei ihren Kindern zu fördern . o registrierte sie zumeist wohl wollend die individuellen Wesenszüge ih.rer sechs Söhne und Töchter und animierte sie dazu , diese pezifika als persönliches und liebenswertes Plus zu achten. Damit wollte sie einerse its das elbstbew u st ein und Selbstwertgefühl der Einzelnen stärken , andererseits aber auch bewi rken , dass sich die Geschwister untere inander in ihrer jewe iligen Eigenart und Differenz akzeptieren und anerkennen lernten. . Dass dabei Selbständigkeit und das daraus erwachsene Selbstbewusstsem nicht auf Kosten anderer gehen durfte sondern ausufernder Eigenwillen durch Einfühlun gsbereitschaft und -vern1ögen gezügelt werden musste, erschien ihr f~r das inner- und außerfamiliäre Miteinander unumgänglich . He lene Eyck praktizierte damit bereits im Kaiserreich einen Erzieh ungsstil , den oziologen wie Hans Bertram für das späte 20. Jahrhund ert auf die Formel »kooperativer Individualismus« gebracht haben .29 Einerseits teilte die Berliner Kaufmann ga ttin diese Vorstellung mit einer Viel zah l ihrer Zeit- und Kla sengenossinnen. ndererseits ze igte sie sich dabei vergleichsweise progress i , \ eil sie Empathi efühigkeit nicht nur für ihre Töchter zur Zilge lung des elbstbewussts ins sondern auch für ihre Söhne als angemessen betrachtete. Die Empathie- und Kooperationsfähigkeit diente nicht nur dazu , die innerfamiliale Solidarität zu festigen, sondern so ll te auch helfen, ußenkontak te zu knüpfen und zu pflegen . Verständnis für die Mitmens h n und die ~ reits haft aufei nander zuzugehen, wö ll te di e Bürgermutter ihren Kindern bere it vo n .k le1.11 auf vennitte ln . Dabei unterschied sie genau nach d njenigen, für die da k111dl1che Mitgefü hl geweckt und denen, mi r de n n gleichsam auf ugen.höhe, g spielt, gefe iert und kommuni ziert werden durfte. Die »außer rdent1rc 11e [il 27 Kocka 2000, S. 26. 28 G iddens 1996, . 330 . 29 Bertram 1990, . 2 13; Uhle 1997, S. 185.
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geg n ihre ebenmenschen, be onder Untergebene« und ihre Eigenart »ohne Besinn n zu chenken« die sie bei einer Tochter beobachtete, konstatierte ie eb n o wie das »milde Herz« ihres zwe iten ohnes durchaus mit Befriedigung. Rege lmäßig brach sie auch mit den Kindern an der Hand und reich bestückten Körben zu Häu ern von Annen und Bedürftigen in der Umgebung auf. Dass es bald nicht elten die Ki nder selbst waren, die ie auf »am1e Familien« aufmerk sam machten und ihre Mutter zum Helfen ermahnten, verbuchte sie als Erfolg die r Be uche. Der gesel lschaftliche Verkehr jedoch bewegte sich in rigide selektierten Krei en. ollten die Kinder für »Untergebene« und ihre Nöte durchaus Interesse aufbri ngen, stand es außer Frage, dass man darüber hinaus keine Jnteressen mit diesen Schichten teilte. hn Gegenteil : Es wurde als Gefahr heraufbeschworen, wenn die öhne und Töchter in die » falschen Kreise« zu geraten schienen. »Jch möchte doch den Kindern und un s ei n angenehmes Heim bieten, möchte ihnen auch Freundschaft und Umgang erhaltene<, klagte sie, als sie auf Gru nd beru fl icher chwierigke iten ih res Mannes den fa milialen Lebensstandard bedroht sah. it dieser Unterscheidun g spiegelte die Erziehungspraxis die Paradoxien wider, die generell der sozialen Realität der Zi ilgesellschaft eigen si nd: 30 Einereits ennittelte sie Werte, die für die Ziv ilgese llschaft rüsteten und ihre Ideale mitprägten. Andererseits befestigte sie jedoch Vorstellungen, die einer egalitär gedachten Zivilgesell schaft zuwiderliefen. Vertrau n und Empathie als IL.ir das Fun ktionieren der Zi il gese llschaft unabdingbare Gefüh ls- und Werthaltungen waren im Kaiserreich noch stark klassenmäßig eingefärbt und abgestuft. Bürgermütter und Bürgerfamilien legten zwar ein erse its die Basis für diese emotional en Dispositionen, zogen aber gleich zei tig die Grenzen ihres Ge ltungsraume . Indem nicht zu letzt die we iblichen Akteure der Zivilgese llschaft die Auswah l trafen , für wen man we lche Gefüh le aufbringen, mit wem man außerhalb der Famili e verkehren und mit wem man sich in Gesellschaften und Assoziationen treffen durfte trugen sie wesentlich dazu bei, di e norm at iv-uni versalisierende ldee der Zivilgese llschaft durch Exklusionsstrategien zu konterkarieren.
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.ie he hierzu auch Tre~ L1:1ann 2000. Trentm ann bezieht sich dabei vo r allem auf di e exk lusive Praxis von Assoz1at1 onen und verweist dam it auf das Problem di ese generell und undifferenziert als .,zivi lgesellschafl lich" zu klassifizieren.
IV. Geselligkeit als Einübung und Teil zivilgesellschaftlicher Praxis Was mit der Gästel iste für Kindergeburtstage begann, ging bei der Auswahl der Geladenen zu gese llschaftlichen Anlässen weiter. Auch hi~r öffnete s1·c·h ~ und dies im Ka iserre ich in immer schne llerem Rhythmus und immer amb1t10~ 1erterem Maß _ der vermeintlich abgesc hirmte Famili enraum gegenüber Gle1chge. d Gleichgestimmten 31 Die Choreographie dieser social events, welche smnten un · . h · 1· ß die ohnehin poröse Pri vatheit der Familie immer durch läss iger ersc ein en 1e , gestalteten und dirigierten vor allem die Frauen des Bür~ertums: Erst deren kommunikative und organisatorische Kapazität machte auch ihre Männer zu .voll akzeptierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft. Nic~t selten wurden .berufliche Karrieresprünge, wie eine Reihe von Beamtenmemot~en ver~aten, an d1~ Voraussetzung ge knüpft , dass der Kandi dat eine Frau an semer Seite hatte, die den erwarteten Repräsentationspflichten bravourös nachzu~ehen verstand . Dies galt nicht nur für die mehr oder mind er >> privaten« ~esellschaften,. sondern auch für die Tei ln ahme an dem im 19. Jahrhundert nonerenden Veremsl , ben und Assoziationswesen. Wie wichtig dafür we ibliche Akte~re waren'. '.11erkten Mann em vor allem dann ' wenn sie fehlten. Em . westfül·1scher d. Rechtsreferendar bekam es währen d seiner langj ährigen Ausbildungsze it ie neben sei ner Arbeit mit einer Vielzahl on Vereins- und Gesellsch~ftsabenden gefüllt war, bald zu spüren, wie lästig es sich ausw irkte, noch ke1~e Frau a~ b I se ·mer se1·1e zu haben . Bei· den Treffen de Mu ikvereins und. des Wemclubs, . denen auch weibliche Mitglieder zugelassen wurden, pl atzierte man .thn. stets, wie er seiner heim lichen Verlobten kl agte, neben heiratsfä higen »Fräul m der . outen Fami li en«. O Er t nachdem die Verlobung »offiziell angezeigt« worde n war. konn te ~ s1~ h wieder »unbefangener« in Gesellschaft begeben und das Verem .' ben "' .n1 ß n Dennoch ahnte er, was er, erst einmal in Amt und Würde, für Verpfl1chtue;~en haben würde, wie er se iner Braut vorsichtig warn end zu verstehe: gab: »Ich bin aber vor der Verwaltung auch nicht bange. v1e.l mehr vor. d n ':'e ei l_. die · tc · h h mem · · k mm · Mem Ideal ware , m 1t 0 11, schaft li chen Verhältnissen, m . . T 'b fern auf den Verkehr mit liebste Lisbeth vom ge räuschvollen ge e II 1g n re1 n . wenigen symp~th ischen Personen angewiesen zu leben . b r dav?n wird w~hl so leicht ni chts werden denn namentl ich wenn man ei nem Koll g1um ang hört, „
3 1 Ebd . 2 ßudde 1884- 19 16 Bd. 2.
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hat man o vi Je ß zieh d' . . un gen te man nicht ganz vernachlässi e d f JJ . päter Frau erv ies i h zu sein er Erle ichteruno dann als he g n ar .« eine • . rvorragende Gastgeberin und Verein gefährtin die e au h . 'k b les Taktieren er tand, ihr »Amt« a~ 111 P'. ant~n ,tuat1onen durch .g~schickschaft li ches Engagement zu nutzen A Ghatt111 e1n~s La~~rates für z1v1lgesellörtlichen Vere in für Armen . uc wenn sie bet ihrem Eintritt in den ·d pflege darauf bestand, »nu r gewöh nliches Mito J,.ed we, en zu " oll en wurd . b ld . o « anzu strengen .«J4 , e sie a zu r Vors itzenden gewählt, »oh ne [s ich) dafür Dass im ge eilig n Verkehr tz k beruflichen Fortkom d M" e wer ·e geknüpft wurden , die nicht nur dem men er anner und de II h ftJ' . ganzen Familie dienten J" t . 1 . m gese sc a tchen Prestige der zu beobachtenden Akt-' .:: sie 1 an ~em im Deut chen Kaiserreich zunehmend . ,v, en von Burgerfrauen beobachten v· 1 »halbamt liche Frauengeselli k . . . · te e nutzten die eits Vereine zu initiieren d~e et:« ~ ,e es die Landr~tsg.attin nannte, um ihrercken verschrieben . s eh kulturellen zumeist Jedoch karitativen Zwe Einigen wie den B . ßaumgarrn~r gelan o eamffitengbatt mnen und Schwestern Helene Weber und !da b es o en ar durchaus gese ll l fl l' 1 V . philanthropisches E · sc ia tc 1e erpfl 1chtun oen . . "' , ngagement und später au 11 1· . h c po ttisc e Akt1v1täten zu vereinbaren und mite in d an er zu verschränken 35 D d b . .. werk zum Einsatz kam ass a e1 auch das famtl1äre Netz· 1 1 1887 die berühmte , gaHt la s Selbstverständlichkeit. Nachdem Helene Weber , von e ene Lan oe autigesetzt p .. Abgeordnetenhau über d' V b "' · e . et1t1on an das preußisch e b'ld te er esserun Oo der Leh . .h rermnen I ung unterzeichnet hatte, warb sie in ihrem B . f . ri e . an t re chwester· »W h h . 1· . die Petition auch an den R . h . · a rsc em ich übrigens wird etc stag gehen und daft.l ä von auswärts sehr wil lko r w ren noch Unterschriften 36 mmen .c< Uberhaupt, so . d . .. . ze igt er Briefwechse l der Schwestern , bestärkten sich b .d e1 e gegense1t1g 111 ihre Akt' . .. . n · 1v1taten. Sie tauschten Informationen aus gaben Lektü ' reempfeh lungen zur W 't b'Jd Kontakte und vergewisserte . h .. . e, er t ung, vermittelten n sie gegense1t1g ihre d s tan punktes. Dabei ging es den beiden S h c western die ihr En . gagement bereits als Mütter und Ehefrau en begannen und d . : . ann 111 ihrer Witwens h ft . ke111eswegs nur um »weibliche 8 e 1ange« an denen ä c J'a h weiter verstärkten, esse zeigten oder das Interesse v 1 'h m nn tc e Bürger kein Interer oren atten Die ä 1· h . · s n m tc hatten di e eng liseh en Hi storikerinn en Leonore D 'd ff av1 o und Catherine Hall dem weib lichen „
33 Ebd., Brief vom J 9.8. 1887. 34 Budde 1884- 19 16, ßd. 3, . 7 6 35 iehe hierzu Roth 2001 , . 5 l 6f. 36 Ebd., . 524.
zivil gesellschaftli chen Engagement unterstell t. 17 »N un ist mir auch noch der Strike der Hafenarbeiter dazwischen gekommen«, entschuldigte !da Baumgartner etwa einen verspäteten Brief an ihre Schwester. Kurz zuvor schon hatte sie den Streik der Berliner Konfektionsarbeiterinnen vielfältig unterstützt und ihre Schwester ebenfalls dazu ermutigt, mit Erfolg. Dies geschah etwa durch Einwerben von Spendengeldern oder auch , wie im Fal l von !da Baumgarten, durch publizistische Tätigkeit, indem sie den Er lös ihrer kleinen Schrift »Soziale Bi lder« den Familien der Streikenden zur Verfügung ste ll te. Wurde die Trennung von »öffentlich« und »privat« im zeitgenössischen Diskurs genutzt, um Frauen einzuschränken, auszusc hließen und ihre Kommunikationsthemen, -formen und -Foren für »privat« und damit irrelevant zu erklären, nutzten die in der Regel in kom munal en Räumen wirkenden Woh lfahrtsvereine unter we iblicher Ägide das Leitmotiv der »organisie11en Mütterlichkeit«, um diese Grenzziehung zu unterlaufen , ohne sie allerdi ngs gru ndsätzlich zu hin terfragen.38 Auch hierbei konnten sich durchaus Ambi valenzen des zivilgesellschaftlichen Handelns abzeichnen. Gerade di e Vielzahl von Wohltätigkeitsvereinen und -verbänden in denen sich vor allem Frauen organisi erten, trugen nicht selten neben zivi len auch dogmatische Züge. Die Defin itionsmacht von »Z ivilität«, die diese Frauen für sich in Anspruch nahm en, konnte schnell die Idee der Toleranz unterhöhlen . Dies bekamen nicht nur die in bürgerlichen Hän täti gen Dienstmädchen am eigenen Leibe zu spüren. Generell unterstellte man »unterbürgerl ichen« Schi chten ein Defizit an Zivilität, das es durch Erziehung zu beheben gelte. Die Landratsgattin Elisabeth Budde erinnerte sich an eine »Ko llegin«, deren mi sionarischer Eifer diese »Schattenseite« der Zivilgesellschaft präsentierte: »[ ie] leistete viel in der Armenpflege. Auf ihrem Rad durchkreuzte sie die Arbeitergegend Wilhelmshaven , konnte sehr energisch werden, wen n sie merkt , daß ein e der Hausfrauen ni cht auf ihrem Posten war un d ihren Mann schlecht versorgte. Es wurde gesagt, ihre Radklingel triebe jede schwatzende Frau von der traße an den Suppento.pf. «39 owoh l für die männlichen als auch für die we ibli ch n Akteure der Ziv ilgese ll schaft ga lt damit ei nerse its, da s zivilg seil chaftliche Formen du rchweg mit zivilgese llschaftlichen In ha lten korrespondierten . Ander rse it konnten zi il 0 sellschaftliche Wert und Ideale, we lche die hier vorge teilten Bürgerinn en al 37 iehe hi erzu David fT/Hall 1987, . 434 . 38 So di e gängige 1l1ese der Arbeiten zur weib li hen Wohl lü tigkc it im 19. Jahrh undert . Vgl. zul etzt Schröder 2001. 39 Buddc 1884 -191 6, Bd . 3 . 94f.
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ütt r bZ\ . mütterliche ohltäteri nnen ertraten, sich elb t aushebeln, wenn ie ap di tisch ertreten un d we itergegeben wurden .
. Fazit Die Optionen weiblicher Akteure an der Ziv ilgesellschaft zu partizip ieren, waren, o läs~t sich resümieren, vielfa ltig und zwiespä ltig. Als Mittlerinnen zivilgeell chafthcher Werte konn ten sie für die Zivilgesellschaft wappnen, jedoch auch zur Fortdauer_il1 '.er Spannungen und Ambiva lenzen beitragen. Mit den hier präs~n-t1ert n Be1sp1elen lä st i h ein erseits die bekannte These bestätigen dass zivllgese llschaftl iches Engagement Wege fur Bü rgerfrauen auch außerhalb der Familie ebnen und damit all mäh lich den weibl ichen Aktionsradius erweitern k~nnten . Andererseits führte ie dieser Weg ke in e wegs weg von der Familie. Viel mehr _n~tzten sie das fami liäre etZ\verk. um ihre woh ltätigen und politichen Akt1 v1täten abzustützen und voranzu!Te iben. Dami t bezeugten sie die un tr~nnbare Verwobenheit von »Öffentli chkeit« und >>Privatheit« - ungeachtet aller ze itgenössischen Diskurse und bis heute fortlebenden Vorste llungen die ihre Tren nun g beschwören. ' Die_h!er nur knapp umri ssenen Vorstellungen so llten zeigen daß die historische Zivilgese llschaft keineswegs nur außerh alb der Fami lie und weitoehend ohne ~e ibliche A~teure stattfand. Wer di e Famil ie generel l zu r Priva~phä re deklar'. ert und damit aus der Zivilgesellschaft ausgren zt, was in den gegenwärtig~n wi s~enschafthch~n D_iskuss ionen nicht selten geschieht erl iegt der Gefahr hint~r die dank ?er histori schen Forschung mittlerweile differen ziert·e Perspektive ~iner Po lans1erung von »öffentl ich« und »privat« zurü kzufa ll en. Einerseits gehörte der Schu tz vor staatlichen Einm ischungen sow ie di Bere itste llu no von Fürsorge, G_e?orgenheit und Intimität zu wesentlichen Aufga ben auch und "'g rade der F~milJe. Eben di se Optio n ma rkierte die Zivil ität einer Ge ellschaft im Untersc~ 1ed zu diktatori_eh überformten Gese llschaften mit ihrer gewollten ~urchdnngung und damit Aufhebu ng des Privaten. Andererseits bewahrt der h1_er präsentierte.. primär handlun gs log! ehe Zugang zur Zivilgesellschaft davor, Rau~e. und Sp.haren al mehr oder minder »nicht-öffentli ch« zu definieren un d damit ih re z1v1lgesellschaftli chen Aufga ben und Praktiken aus den Augen zu verlieren. Ebenso wenig wie die Ziv ilgesell schaft raumgebunden ist, kennt auch
zivilgese llschaftli ches Handeln ei ne Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Wie die hierarchisch strukturierte Geschl echterordnung war auch die von der Öffentlichkeit vollends abgeschottete Kernfamilie ein historisches Konstrukt und entsprach kei neswegs der sozialen Realität des Kaiserreichs. Die Beschränkung der weib lichen Akteure auf den »kleinen Kreis«, wie es sich zeitgenössische Pub lizisten wünschten und woran noch heutige Historiker glauben, verkennt die Wirkungsmacht und Ausstrahlungskraft der »Kultur der Zivi lität«, die in dem zumindest im Kaiserreich - gar nicht so »k leinen Kreis« der Familie generiert und transferiert wurde. Schon die wenig hermet ische Erziehungspraxis vermittelte durchaus nach außen gerichtete, auf die Zivi lgesellschaft orientierte Wertund Gefüh lshaltungen wie Solidari tät, Fremd- und Selbstvertrauen, Empath ie, Anerkennung von Differenz, emotionale Aufgeschlossenheit sowie Kommunikationsw illen und -vermögen. Daneben verfo lgte sie aber auch Exklusionsstrategien, die der Zivilgesellschaft keineswegs fremd waren und sind. . Helene Eyck, Elisabeth Budde, Jda Baumgartner und Helene Weber gehörten zwar nicht zu den Exponentinnen der erstarkenden Frauenbewegung ihrer Ze it, die mit zivilgesellschaftlichen Mittel n auf die »dunklen Seiten« der Zivilgesellschaft verwiesen und gemeinhin als Paradeakteurinnen der Zivil gese llschaft gefeiert werden. Doch als Mittlerinnen zivilge ellschaftl icher Werte und a!s Reg isseurinnen ziv ilgesellschafili cher Aktivitäten leisteten Bürgerfra u.en, die nicht in der Frauenbewegung aktiv waren, auch ihrem elbstverständnis na h einen entscheidenden Beitrag zur Praxis der Ziv il gese ll chaft mit ihren id ealen, Grenzen und Amb iva lenzen .
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