Das sogenannte Edikt von Mailand. Von Otto Seeck in Greifswald. The so-called Edict of Milan „Im Jahre 313 gewährte Konstantin durch das Edikt von Mailand den Christen im römischen Reiche gesetzliche Toleranz.“ So haben wir alle es auf der Schulbank gelernt, und doch ist kein Wort davon wahr. Denn gesetzliche Toleranz erhielten die Christen nicht erst 313, sondern schon 311, der Urheber dieser Mafsregel war nicht Konstantin, sondern Galerius, und ein Edikt von Mailand, das sich mit der Christenfrage beschäftigte, hat es nie gegeben. Eine Urkunde, welche man mit diesem Namen zu benennen pflegt, ist uns zwar noch im Wortlaut erhalten; aber diese ist erstens kein Edikt, zweitens nicht in Mailand erlassen, drittens nicht von Konstantin, und viertens bietet sie nicht dem ganzen Reiche gesetzliche Duldung, welche die Christen damals schon längst besassen, sondern ihr Inhalt ist von viel beschränkterer Bedeutung. "In 313, Constantine granted by the Edict of Milan Christians in the Roman Empire legal tolerance." So we have all learned it in school, and yet not a word of it is true. For legal tolerance were given Christians not first 313, but already 311the originator of this measure was not rule Constantine, but Galerius, and an edict from Milan, which dealt with the Christians question has never existed. A document which we are accustomed to call by that name, though still preserved to us in the wording; but this is no edict firstly, and secondly not adopted in Milan, thirdly by Constantine, and, finally, it does not provide the whole empire legal toleration which the Christians at that time already possessed, but its content is much more limited of importance. Ein Edikt beginnt in der Regel mit den Worten: Imperator Caesar (Name und Titulatur) dicit. Sind mehrere Kaiser vorhanden, welche sich gegenseitig anerkennen, so werden ihrer aller Namen in der Reihenfolge der Anciennität aufgezählt und das Zeitwort dicit natürlich in den Plural verwandelt. Im Texte des Gesetzes, welcher auf diese Eingangsformel folgt, wird keine Person angeredet. Neben dieser ältesten und einfachsten Art steht eine zweite, in der die Form des Briefes angewandt wird. An edict usually begins with the words: Imperator Caesar
(name and titulary) dicit. If several emperors present that recognize each other, so all of their names are listed in order of seniority and the verb dicit naturally transformed into the plural. In the text of the law, which follows this introductory formula, no person is addressed. In addition to this the oldest and simplest type is a second where the shape of the letter is applied. ZeiUchr. f. K.-G. ΧΠ. 3. 4.
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382 SEECK, Als Adressaten erscheinen hier bald die Unterthanen des Reiches in ihrer Gesamtheit, bald die Einwohner einzelner Diöcesen, Provinzen oder Städte. Die Überschrift lautet also: Imperator Caesar (Name und Titulatur des Kaisers oder der Kaiser) provincialibus suis salutem oder Afris suis salutem oder Antiochensibus suis salutem. Allen Formen des Ediktes aber ist es gemein, dass sie sich ohne Vermittelung eines Einzeladressaten direkt an das Publikum wenden. As recipients appear here either the subjects of the empire as a whole, or the inhabitants of individual dioceses, provinces or cities. The title is: Imperator Caesar (name and titulary of the Emperor or the Emperor) provincialibus suis salutem or Afris suis salutem or Antiochensibus suis salutem. In all forms of the Edict though it is common that they turn without the intervention of a single addressee directly to the audience. Wie man sieht, trifft dies bei unserer Urkunde nicht zu. Lactanz (de mort. pers. 48) sagt ausdrücklich, sie sei nicht ein Edikt, sondern ein Brief an den Statthalter von Bithynien (litterae ad praesidem datae), und der Text, in welchem der Adressat mehrfach angeredet wird, bestätigt dies. Wie oft in ähnlichen Fällen steht zwar am Schlüsse der Befehl, das Schreiben durch öffentlichen Anschlag, d. h. in der Form des Ediktes, zur allgemeinen Kenntnis zu bringen; aber was Edikte eines Beamten dem Publikum kund thun, ist darum noch kein Edikt der Kaiser. As you can see, this is not true in our document. Lactantius (de mort. Pers. 48) explicitly says that it was not an edict, but a letter to the governor of Bithynia (litterae ad praesidem datae), and the text, in which the addressee is addressed repeatedly confirmed this. Although as often in similar cases is at the close orderthat the letter through public attack, ie bring it in the form of the edict, the public communication; but do what edicts of an official manifest to the public, is therefore no edict of the emperor. Doch dies ist unwesentlich, da die Edikte sich wohl durch ihre solennere Form, nicht aber durch grössere Kraft der gesetzlichen Geltung von derartigen Briefen unterschieden. Wichtiger aber ist das Folgende. Als Konstantin und Licinius in Mailand zusammentrafen, konnten sie noch gar keine Befehle an den Statthalter von Bithynien
erlassen, da dessen Provinz nicht zu ihrem Machtbereich gehörte, sondern dem Maximinus Daja unterthan war. Die Annahme, dass das Gesetz in Mailand gegeben sei, liesse sich also nur unter den folgenden Voraussetzungen aufrecht erhalten. Es kommt sehr häufig vor, dass dieselbe Verordnung, bald gleichlautend, bald in der Form mehr oder minder abweichend, an eine grössere Zahl von Beamten gerichtet wird. Die Kaiser könnten also von Mailand aus Schreiben gleichen Inhalts zunächst an die Statthalter ihrer Reichsteile versandt und dann nach der Besiegung des Maximinus in jeder seiner Provinzen, welche in die Hände des Licinius fiel, den Oberbeamten entsprechende Briefe zugestellt haben. Diese Vermutung wird dadurch unterstützt, dass die Übersetzung der Urkunde bei Eusebius (Hist. eccl. χ* 5) von dem Texte des Lactanz Abweichungen zeigt, welche sich kaum alle durch Fehler und Auslassungen des einen oder des anderen genügend erklären lassen.
But this is immaterial, since the edicts are well distinguished by their solennere form, but not greater force to the legal validity of such letters. But more important is the following. When Constantine and Licinius met in Milan, they could still adopt any commands to the governor of Bithynia, since the province was not part of their sphere of influence, but the Maximinus Daja was subject unto. The assumption that the law was given in Milan, so could be maintained only under the following conditions. It is very common that the same Regulation, either be identical, sometimes in the form of more or less different, addressed to a larger number of officials. The Emperor could therefore have first sent from Milan writing to this effect to the governors of their parts of the empire and then sent corresponding letters to the defeat of Maximinus in each of its provinces, which fell into the hands of Licinius, the top officials. This assumption is ed by the fact that the translation of the documents in Eusebius (Hist. Eccl. 5 χ *) from the texts of Lactantius deviations shows which can hardly be all through errors or omissions of one or the other to sufficiently explain.
DAS SOGENANNTE EDIKT VON MAILAND. 383 Es scheinen hier wirklich zwei verschiedene Redaktionen des Briefes vorzuliegen, von denen die eine an den Konsularis Bithyniens, die andere wahrscheinlich an den Statthalter von Eusebius’ Heimatsprovinz gerichtet war. Ist aber das Gesetz, wie es hiernach scheint, erst nach und nach an die Präsides des Orients verschickt worden, so kann es leicht vorher in derselben Weise über den Occident verbreitet sein. Ob wir dies annehmen müssen, wird sich aber erst entscheiden lassen, nachdem wir die Formalien und den Inhalt der Urkunde genauer geprüft haben. It seems here really two different editors of the letter to exist, one of which is the Konsularis of Bithynia, the other was probably addressed to the governor of Eusebius' home province. But if the law was apparently thereafter, sent only gradually to the Praesides of the East, so it can be easily disseminated in the same way through the Occident. Whether we have to assume this is, but can decide only after we have
the formalities and the content of the instrument examined in more detail. Die Überschrift ist uns leider nirgend erhalten, und gerade auf diese würde sehr viel ankommen. Alle Gesetze und Verordnungen, auch wenn sie nur von einem Herrscher ausgingen, wurden damals mit den Namen sämtlicher Kaiser überschrieben, welche einander als legitim anerkannten. In unserem Falle kann es also nur fraglich sein, ob an der Spitze des Briefes Konstantin und Licinius allein genannt waren oder noch Maximinus Daja als dritter hinzutrat. Es steht fest, dais Konstantin den Tyrannen des Orients nicht gleich nach dessen Besiegung als abgesetzt betrachtete. Die Zahl der erhaltenen Denkmäler, welche ihn noch nach dem Tode des Maxentius als Mitregenten nennen, ist zu gross *, als dass sie alle in der kurzen Zeit vom 28. Oktober 312 bis zum 30. April 313 entstanden sein könnten. Licinius aber konnte kaum wagen, ohne Konstantin’s Zustimmung seinen Feind für des Thrones verlustig zu erklären. Es ist also recht wohl möglich, dass die Überschrift die Namen aller drei Kaiser nannte. * 185 1) Cohen, Médailles impériales VU', Maximin U Daza Nr. 184,185. Beide Münzen sind nach den Buchstaben im Abschnitt in Rom, also im damaligen Machtgebiete Konstantin's geschlagen. CIL. V, 8021. 8060. 8963; VI, 507. Dass diese Inschriften erst nach dem Tode des Maxentius gesetzt sind, zeigt die Reihenfolge der Namen. Vgl. Mommsen zu CIL. III, 5565. Noch im Herbst 313 redet Eumenius (Paneg. IX, 2) zu Konstantin von imperii tui sociis im Plural, was er gewiss nicht gethan hätte, wenn der eine der beiden Mitregenten damals schon für illegitim erklärt worden wäre. 26*
384 SEECK, Volle Gewissheit bietet der Text der Urkunde. In der Redaktion des Lactanz lauten gleich die Eingangsworte: cum feliciter tam ego Constantinus Augustus quam etiam ego Licinius Augustus apud Mediolanum convenissemus. Warum sind hier mit solcher Weitschweifigkeit die Namen genannt? Wenn die Überschrift nur Konstantin und Li- cinius allein nannte, so würde doch ein einfaches: cum feliciter apud Mediolanum convenissemus ganz dasselbe sagen. Die Erklärung bieten einige Paralleletellen. In einer Urkunde aus der Zeit der diocletianischen Tetrarchie bei Eu- meuius (Paneg. IV, 14) reden die Kaiser immer von sich im Plural; nur einmal heilstes: qui hilaro consensu meum Constantii Caesaris ex Italia revertentis suscepere comitatum^ Wie man sieht, ist dem singulariscben meum der Name hin- ■UgeiÜgt, offenbar damit unter den vier Kaisern der Überschritt derjenige kenntlich gemacht werde, dessen besonderes Erlebnis hier erwähnt ist. Ebenso heisst es in einem Erlasse des Konstantin und Licinius bei August, contra Cresc. 111, 70, 81 = epist. 88, 4: unde volumus eundem ipsum Ingentium sub idonea prosecutione ad comitatum meum Constantini Augusti mittas. Der Befehl, als von der Gesamtheit dor Herrscher ausgehend, steht im Plural (volumus), d*£egeu ist meum wieder singularisch, und wieder steht der Nanu» dabei, damit man wisse, von welchem der beiden Kai*w das Hoflager gemeint sei. Endlich lesen wir in niuev Verorduuug von Konstantes und Julianus Cod. Thood* VI, 4, 10: die natali meo Constantii Augusti, idibus .in/ustiSi ac deinceps designationibus curiam operam dare Mknc4MH*> Auch hier das sancimus im Plural, auch hier si»« *vV vou dein Namen begleitet; es musste eben deutlich gvmaoht worden, dals von dem Geburtstage des Konstantes, wwM snob dos Julianus, die Rede war. Wir sehen also, xUU on Tovlo der Urkunden die Kaisernamen nur da ge- vnowt *tnd V wo nicht von allen, welche in der Überschrift Awdwwiv Mejendi gesprochen wird, sondern aus ihrer Zahl bei > iwgohohen werden. Wenn folglich in dem ToVvaww**** tyo ( 'onstantinus Augustus quam ctiam ego 4*/*^*' des 8C *blichten nos steht, so folgt daraus, dass die Überschrift mehr Namen als diese beiden enthielt.
DAS SOGENANNTE EDIKT VON MAILAND. 385 Dies ist für die Interpretation der Urkunde von höchster Wichtigkeit. Wenn die Kaiser darin von sich im Plural sprechen, ohne ihre Namen hinzuzufiigen, so sind damit nicht die Personen des Konstantin und Licinius, sondern das gesamte Herrscherkolleg gemeint. Nostrae leges, nostra scripta bedeuten daher Gesetze und Verordnungen, deren Überschrift sie nannte und die daher formell auch ihnen angehörten, selbst wenn sie thatsächlich von Galerius oder Maximinus allein ausgegangen waren. Hieraus erklärt sich zunächst eine bisher ganz unbegreifliche Stelle des Briefes: quare scire dignationem tuam con- ■venit, placuisse nobis, ut amotis omnibus omnino condicioni- V/ns, quae prius scriptis ad officium tuum datis super Christianorum nomine [continebantur et quae prorsus sinistrae ^t a clementia nostra alienae] videbantur, nunc caveres, ut simpliciter unus quisque eorum, qui eandem observandae religioni Christianorum gerunt voluntatem, citra ullam inquietudinem ac molestiam sui id ipsum observare contai-
886 8EECK, DAS SOGENANNTE EDIKT VON MAILAND. skript (αντιγραφή), durch welches diese Duldung verliehen sei, habe Bedingungen 1 hinzugefugt, welche nach kurzer Zeit viele wieder vom Christentum abgeschreckt hätten. Nun erinnere man sich, dass Maximinus in seinem Reichsteil das Toleranzedikt des Galerius gar nicht publiziert hatte, sondern nur durch ein Rundschreiben seines Präfekten den Statthaltern hatte mitteilen lassen, dass die Verfolgungen aufhören müssten. Bald darauf aber waren Reskripte von ihm ausgegangen, welche zwar formell das Galerische Gesetz als zu Recht bestehend anerkannten, aber die Ausführung desselben in solcher Weise regelten, dass sie es dadurch that- sächlich wieder aufhoben. Prüft man nun den Text des sogenannten Ediktes von Mailand genauer, so wird man finden, dass es keinen anderen Zweck hatte und haben konnte, als jene chikanösen Bestimmungen des Maximinus Daja wieder zu beseitigen. Im ganzen übrigen Reiche waren ja die letzten Befehle des sterbenden Galerius loyal aus- gefuhrt worden; eine weitere Sicherung der religiösen Toleranz war also hier ganz überflüssig. Nur im Orient hatte durch den Fanatismus seines Beherrschers die Verfolgung fortgewütet. Dem trat Licinius durch unseren Erlals entgegen, sobald er in Nikomedia, der Hauptstadt der ersten Provinz, welche er dem Maximinus entrissen hatte, als Sieger eingezogen war. Das Gesetz betraf also nicht das gesamte Reich, sondern nur den Orient; es ist nicht von Konstantin, sondern von Licinius ganz allein gegeben, und wenn man dafür einen Namen haben will, so darf man es künftig nicht mehr das Edikt von Mailand, sondern nur den Erlass von Nikomedia nennen. 1
1) Das Wort αίρέσης ist hier für das lateinische condiciones gesetzt, wie dies auch X, 5, 6 geschieht, wo das amotis omnibus omnino condicionibus des Originale bei Lactanz durch àyaiçt&HaQv παντιΐ&ς jQv ai ρέα ίων wiedergegeben ist. Das hat schon Keim richtig erkannt.